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"How to be satisfied with 70%" - Paik Ausstellung im MUMOK

Im Wiener Museum für Moderne Kunst (MUMOK) ist noch bis zum 17. Mai die Ausstellung: „Nam June Paik: Music for all Senses" zu sehen. Sie widmet sich einer Reinszenierung (so der Ausstellungskatalog) von Paiks inzwischen als legendär zu bezeichnenden Ausstellung „Exposition of Music, Electronic Television" in der Wuppertaler Galerie Parnaß im Jahr 1963:. Schon der Titel war für Paik programmatisch: „I have resigned the performance of Music, I expose the Music" (24)

Dieser Ausstellung wird in der kontinentaleuropäischen Medienkunstgeschichte eine ähnliche Bedeutung zugemessen,  wie den New Yorker "Nine Evenings" (1966) oder der Londoner Ausstellung "Cybernetic Serendipity" (1968). Dies allerdings weniger wegen der Musikinstallationen - u. a. vier "präparierte Klaviere" -  als wegen der Ausstellung von zwölf  manipulierten Fernsehgeräten, Arbeiten, die als Pionierleistung der Medienkunst gelten.  Es ist sehr zu begrüßen, dass die umfangreiche Dokumentation des MUMOK nun einen konkreteren Eindruck von der Ausstellung vermittelt, hat diese doch ihre Berühmtheit wie so oft erst posthum erreicht und wurde 1963 wohl nur von wenigen Besuchern erlebt (so erinnert sich Tomas Schmit: "Am Eröffnungsabend kommen fast nur freunde der beteiligten, an den weiteren abenden fast niemand mehr" (124).

 

Das MUMOK versucht keine Simulation der ursprünglichen räumlichen Situation und verzichtet auch auf denkbare sensationsträchtige Repliken, etwa den damals im Eingang hängenden echten Bullenkopf, vermittelt aber dennoch viel von der Atmosphäre des ursprünglichen Events. So sind alle Wände mit hochkopierten Fotografien der Eröffnung tapeziert, auf denen eine Vielzahl kleinerer 'Originalfotografien' sowie schriftliche Dokumente gehängt wurden. Davor stehen erhaltene Exponate und Nachbauten derselben (s. u.). Der entstehende fließende Übergang zwischen Originalen, Dokumenten und Reproduktionen legt auf anregende Weise die Verschmelzung von Ausstellung, Dokumentation und Rezeption offen. Das spannendste Exponat der Ausstellung ist denn auch ein Text, den ein Ausstellungsmitarbeiter, Tomas Schmit, erst 1976 aus der Erinnerung verfasste. Er hängt im MUMOK 'im Original' (als Manuskript) und dokumentiert das Event durch die Brille von und aus der Erinnerung von Schmit, und vermittelt daher zwar eine subjektive, dafür aber umso lebhaftere und spannende Perspektive auf die Ausstellung, die Schmit selbst mit dem Paik Zitat „how to be satisfied with 70%" (129) kommentiert.

 

Ein schönes Konzept, dass ein Exponat, das selbst ursprünglich den Status einer Sekundärquelle (der Ausstellung) hatte, nun als Primärquelle (der Rezeption) ausgestellt wird, und in seiner zweifachen Quellenfunktion (als historisches Dokument und aktueller Ausstellungsführer) genutzt werden kann. Dass die Rezeptionsgeschichte einer Ausstellung sich fast untrennbar mit dieser verbinden kann, zeigt auch der Ausstellungskatalog, der Fotos der aktuellen Wiener Reinszenierung gleich mit beinhaltet.

 

Viele der ursprüngliche partizipativen Exponate sind erhalten, allerdings natürlich längst musealisiert, d. h. nicht mehr 'benutzbar'. Daher wurden für die Ausstellung neben den historischen Objekten einiger dieser Exponate als benutzbare "Ausstellungsobjekte" (so der Katalog) nachgebaut. Dies erscheint sehr sinnvoll, ging es doch schon damals nicht um eine Ästhetik der Objekts, sondern um eine Einladung zur Aktion, etwa die Möglichkeit, beim so genannten "Plattenschaschlik" eigenhändig einen Tonabnehmer auf verschiedene sich drehende Langspielplatten aufzusetzen, um Musikfragmente zu aktivieren. Von den ursprünglich zwölf Fernsehern werden leider nur drei als Nachbauten gezeigt, von denen einer bereits defekt ist, genauso wie die Rekonstruktion von "Random Access'"(einer Komposition aus auf die Wand geklebten Magnetbändern eines Tonbandes, die per frei bewegbarem Tonkopf abzufahren war). Das ist zwar schade und gemahnt einen daran, Medienkunstausstellungen immer möglichst zeitnah zur Eröffnung zu besuchen, andererseits bietet gerade die Anfälligkeit der Nachbauten wahrscheinlich ein sehr authentisches Erlebnis. So erinnert sich Tomas Schmit: „und manche der viele armaturen waren - wenn nicht absichtlich, so doch bewusst - arg labil: ging eine sache kaputt, wurde sie repariert; oder durch eine andere ersetzt; oder einfach fallengelassen" (126).

 

Der Ausstellungskatalog selbst dokumentiert und kontextualisiert das Event ausführlich und mit zahlreichen aktuellen Interviews, was allerdings fehlt ist ein Passus von Paik, der im ausgestellten Entwurf (?) für eine Veröffentlichung des Fluxus-Magazins noch vorhanden war, in der im Ausstellungskatalog abgedruckten publizierten Fassung allerdings fehlt - aus organisatorischen Gründen, oder vielleicht doch, weil Paik hier ziemlich schonungslos mit seinem Publikum abrechnet? „In Gallery Parnass (Wuppertal) one Bull's Head made more sensation than 13 TV-sets - justifiably, these were too intellectual for Wuppertal. According to Mr. Jähring, who really managed to manage all the hubbub in his Galery, see-ers should learn how to see experimental TV before seeing. Brötzmann and Montwé, very creative collaborators, who interpreted and realized many of the ideas better than I ever imagined (Tudor to Cage?) were left quite cold by my TV-sets at the beginning of session, but they became day by day more attracted to the TVs, and finally for them won over all the other 'sensational' attractions [...] But for the normal, cold, stupid visitors, who 'glances at it for a couple of minutes' such as at the stable painting, it is just the distorted TV, just as electronic music was only the noise of Anti Hi-Fi Amplifier 10 years ago" (Television Experiment, 1963/64).

 

 

(Zahlenangaben in Klammern = Seitenangabe Ausstellungskatalog)

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