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Wieso "Materialismus"?

Ansichten eines Materialisten (2)

Materialist, Speciarius, Frantzösisch Droguiste. Einer, der allerhand Gewürtz, Specerey, Farben, Berg-Arten, allerhand Lebens-Mittel von gedörrten oder eingesaltzenen Fleisch, Fischen und Früchten u. d. g. zu Kauff hat. [...] - Zedler, Materialist (1), Bd. 19 (1739), S. 1061

 

Werke der bildenden Kunst, also die Gegenstände der Kunstgeschichte, werden aus Materialien hergestellt.

Kein Kunsthistoriker wird das bestreiten wollen. Zu den ersten Kapiteln von „Kunstgeschichte - Eine Einführung" gehört dankenswerterweise auch eines zur „materiellen Befundsicherung". Den gesamten Teil 3 über - „Gegenstandsdeutung" - habe ich mich aber gefragt, warum denn keine der beschriebenen Methoden nennenswerten Gebrauch von den Resultaten solcher „Befundsicherung" macht.

Das ist schade. Denn wenn Kunstwerke durch die Verarbeitung bestimmter Materialien nach bestimmten Verfahren hergestellt werden, dann ist diese Herstellung wesentlicher Bestandteil der Werkgenese.

Für alle Epochen erscheint es mir jedoch schwer - wenn nicht unmöglich - das Materiell-Technische gänzlich abzutrennen von dem, was der Gegenstand der Kunstgeschichte sein sollte. Zu oft wird allerdings genau das von ihr suggeriert - daß die Bearbeitung des Materials etwas Unwesentliches sei, ohne Einfluß auf das Erscheinungsbild und den zu untersuchenden Gehalt der Werke und selbst in deren Enstehungsprozeß eine quantité négligeable.

Bis zum 19. Jahrhundert machte diese handwerkliche Arbeit aber einen großen Teil der Arbeitszeit eines Künstlers aus - was sich erst langsam mit der Herausbildung einer Industrie änderte, welche ihn in wachsendem Maß mit Halbfabrikaten und schließlich mit konfektionierten Materialien versah.

Die seinerzeit „neuen" Medien Fotografie und Film waren, nach einer kurzen handwerklichen Frühphase, schon bald ohne Industrie, welche die Materialien zur Verfügung stellte, nicht mehr denkbar.

Bei den „neuen Medien" der letzten Jahrzehnte hat sich diese Tendenz nochmals verstärkt: Die technische oder „handwerkliche" Arbeit, die ein Künstler selbst aufwenden muß, braucht nur noch minimal zu sein - so hat er keinen Einfluß auf das Verfahren der Bildgebung selbst - aber nichtsdestotrotz werden diese Kunstwerke weiterhin aus Materialien hergestellt. Die erfinderischen Leistungen und der technische Aufwand, welche ihre Herstellung erst ermöglichen, sind größer als je zuvor - aber sie liegen vor dem Entstehungsprozeß der Werke und befinden sich in der Hand der Industrie, nicht der des Künstlers. Der Stellenwert der eigenen handwerklich-technischen Arbeit ist hier also wesentlich geringer und verschwindet bei solchen Werken im Extremfall ganz. Jedoch kann ihre Materialität, ihre besondere Anmutung aufgrund des Materialcharakters ihrer Mittel, kaum bestritten werden.

Also bleiben Material und Technik Faktoren, welche auch in die Erforschung neuer und neuester Kunstwerke einbezogen werden sollten.

Technik- und Wirtschaftgeschichte wären beispielsweise in diesem Kontext Nachbardisziplinen der Kunstgeschichte. Während eine Untersuchung der Gemälde Cranachs nach technischen Gesichtspunkten Technologien und handwerkliche Arbeitsweisen der Werkstatt und ihrer Zulieferer zutage fördern wird, müßte sich eine vergleichbare Untersuchung der späten Farbfotos von Moholy-Nagy zu einem guten Teil auch mit dem neuen, chromogenen Verfahren des Kodachrome-Farbfilms, mithin also einem Stück Industriegeschichte, beschäftigen.

Möglicherweise erscheint noch lange nicht sinnfällig, warum man dies denn alles tun sollte. Im Weiteren hoffe ich jedoch, diese Auffassung mit Beispielen zu verdeutlichen und zu begründen.

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