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„Was Hänschen nicht gelernt, lernt Hans nimmermehr“

Ein Beitrag von Franziska Fritzsche M.A. für das Themenportal Caricature & Comic

Dieses und andere Sprichwörter wie „Hunger ist der beste Koch“ oder „Wer A sagt, der muss auch B sagen“ begleiten uns von Kindheit an durch das ganze Leben. Wenn auch auf den ersten Blick nicht immer leicht verständlich, übermitteln Sprichwörter Lebenserfahrungen, Warnungen oder Verhaltensregeln, die über Generationen hinweg allgemeingültig gewesen zu sein scheinen. Da ihr Ursprung in der Regel unbekannt ist, überrascht es nicht, dass sie bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur volkstümlichen Belehrung verwendet wurden – und dies unter anderem in Form von humorvollen Illustrationen. Ein hervorragendes Beispiel geben dafür die „Münchener Bilderbogen“ ab.

Bei diesen handelt es sich um eine Reihe von humoristischen Einblattdrucken, die von dem Münchener Verlag Braun & Schneider – ebenfalls Herausgeber der Fliegenden Blätter – ab dem Jahre 1848 veröffentlicht wurde. Im zweiwöchentlichen Turnus erschien jeden Samstag ein Bilderbogen, der in Einzelhandelsgeschäften verkauft wurde. Bis 1898 wurden in 50 Jahrgängen je 24 Bilderbogen veröffentlicht, welche durch 30 vereinzelte Sonderexemplare in den Jahren 1902 bis 1929 ergänzt werden. Die Serie umfasst somit insgesamt 1230 Einblattdrucke.

Unter einem Bilderbogen wird aus heutiger Sicht ein einseitig, mit Bildern – teilweise mit Text – bedruckter Papierbogen mittleren Formats verstanden. Sie dienten der Belehrung und Unterhaltung aller Altersklassen und waren dank ihrer leichtverständlichen Darstellungen sowie des niedrigen Kaufpreises eine weitverbreitete Form der populären Druckgraphik. Als Gebrauchsgraphik wurden sie beispielsweise gesammelt, ausgeschnitten und ausgemalt oder zur Dekoration von Oberflächen bzw. als Einschlagpapier verwendet. Ihre Herstellung und Verbreitung begann mit der Erfindung des Holzschnittes. Dieser machte es möglich, Bilder kostengünstig und in großer Anzahl zu reproduzieren. Somit kamen nicht nur die höheren Gesellschaftsschichten in den Genuss von künstlerischen Darstellungen, sondern auch die breite Masse der Bevölkerung.

Die Vorläufer der Bilderbogen waren zunächst einfache Blätter mit überwiegend sakralen Motiven. Im Laufe des 16. Jahrhunderts erweiterte sich der Motivschatz durch eine Reihe profaner Bildthemen: von den unterschiedlichsten Szenen aus dem Alltag, Illustrationen von Erzählungen oder Naturphänomenen über Herrscherporträts und Schlachten bis hin zu aktuellen Geschehnissen. Zunächst war vor allem die bäuerlich geprägte Gesellschaft Abnehmer der Bilderbogen. Dies liegt unter anderem an der verwendeten Technik des Holzschnitts, da diese die Bilder gröber und veralteter wirken ließ. Im 17. Jahrhundert wurde erstmals auch der Kupferstich zur Produktion der Graphiken verwendet. Durch die feineren und dezenter kolorierten Drucke konnte nun auch die städtische Bevölkerung für die Gebrauchsgraphik begeistert werden. Auch die abgebildeten Themen passten sich der neuen Abnehmerschaft an, sodass nicht nur zwischen urbanen und ländlich bevorzugten Bildthemen unterschieden werden konnte, sondern auch zwischen Motiven für Kinder und Erwachsene. Die Erfindung der Lithographie und die sozialen Umbrüche des 19. Jahrhundert verhalfen dem Bilderbogen schließlich zu seiner Blütezeit und genau in diese Zeit fällt auch das Erscheinen der Münchener Bilderbogen.

Die Verleger der Münchener Bilderbogen Kaspar Braun und Friedrich Schneider waren stark daran interessiert, ein besonders breites Publikum anzusprechen. Sie bemühten sich darum, dass die Bilderbogen nicht mehr nur als beliebte Gebrauchsgraphik für den Mittelstand, sondern als eigenständige Kunstwerke wahrgenommen wurden und auch die oberen, gebildeteren Schichten ansprechen sollten. Es überrascht daher nicht, dass lediglich 35 der 1230 Bogen zum Zwecke des Bastelns, Faltens, Ausschneidens, etc. gestaltet worden sind. Um die künstlerische Bedeutung der Drucke hervorzuheben, etablierte das Münchener Verlagshaus zum einen die Technik des Holzstiches in Deutschland, welche zuvor in England entwickelt wurde. Durch diese Art des Hochdruckes waren feinere und detaillierte Abbildungen möglich, wodurch auch die Papierqualität, das Format und die Kolorierung der Bilderbogen verbessert werden konnte. Neben der technischen Optimierung engagierten Braun und Schneider zum anderen auch bekannte Künstler, die Entwürfe für die Blätter lieferten. Zu diesen gehörten zum Beispiel Wilhelm von Diez, Heinrich Leutemann, Andreas Müller, Franz von Pocci, Moritz von Schwind, Lothar Meggendorfer – später Herausgeber der Meggendorfer Blätter – und Wilhelm Busch. Allerdings gestaltete sich anfangs die Suche nach Künstlern schwierig, da zu diesem Zeitpunkt die Bilderbogen nicht als Kunst galten und sogar als minderwertig sowie wenig lukrativ angesehen wurden. Dieser Umstand konnte jedoch durch Kaspar Brauns Kontakte kompensiert werden, da es ihm als Absolvent der Münchener Kunstakademie gelang, zunächst junge und unbekannte Künstler, später dann auch namhafte Vertreter, zu gewinnen. Die Akquirierung von Absolventen und Studenten der Kunstakademie hatte gleichzeitig noch den Vorteil, dass die Mehrheit der Zeichner aus den mittleren und höheren Bildungsschichten stammten und daher mit den geistigen und künstlerischen Anforderungen ihrer Zeit vertraut waren. Insgesamt waren an den Münchener Bilderbogen 138 Künstler beteiligt, die namentlich bekannt sind, da sie ihre Arbeiten signieren durften und in Drucklettern unterhalb des Titels angegeben wurden.

Wie bereits erwähnt, sollten die Bilderbogen ein besonders breit gefächertes Publikum ansprechen, sowohl auf dem Land wie in der Stadt, über alle Gesellschaftsschichten hinweg. Betrachtet man das Motivspektrum der Münchner Bilderbogen genauer, fällt auf, dass es keine Spezialisierung auf bestimmte Themen gibt. Im Gegenteil. Die Darstellungen reichen von Szenen aus dem alltäglichen Leben, wie beispielsweise Darstellungen modischer Trends oder verschiedener Berufe, über Kriegs- und Jagdmotiven bis hin zu Eindrücken aus aller Welt. Eine Ausnahme bilden allerdings die Herrscher- und Heiligendarstellungen, sowie das Kommentieren des aktuellen Tagesgeschehens oder lokaler Begebenheiten. Diese sucht man in den Münchener Bilderbogen vergebens. Besonders auffällig ist die große Anzahl an Motiven und Themen, die Kinder als Zielgruppe ansprechen. Haustiere, die wie Menschen leben, Illustrationen zu Sprichwörtern, dem Einmaleins und dem Alphabet, aber auch Sagen, Märchen und Geschichten über Figuren, wie den Baron von Münchhausen oder belehrende Szenen über falsches Tun und Handeln gehören zum Kanon der kindhaften Bildthemen. Allein diese Motivvielfalt macht deutlich, dass das Verlagshaus Braun & Schneider nicht nur auf eine humorvolle Unterhaltung der Leserschaft abzielte, sondern zeitgleich auch einen Bildungsgedanken vermitteln wollte, der zeitgemäße Werte, erwünschte Verhaltensweisen und moralische Vorstellungen spielerisch näherbrachte. Zu diesem Zwecke wurden in den späten 1850er Jahren spezielle Serien innerhalb der Bilderbogenreihe etabliert, die regelmäßig erschienen und zur umfangreichen Illustration spezieller Themen dienten. Mit „Geschichte der Kostüme“, „Die Welt in Bildern“ und „Bilder aus dem Althertume“ wurde ein außergewöhnliches und sehr detailliertes Bildmaterial zur Verfügung gestellt, welches in gebundener Form sogar in Schule, Lehre und Studium Verwendung fand. Die hohe technische sowie inhaltliche Qualität dieser Bilderbogen war über das kindliche Publikum hinaus, sicherlich auch für die erwachsenen Leser eine interessante Unterhaltung.

Die Bemühungen von Kaspar Braun und Friedrich Schneider, die Münchener Bilderbogen als Kunst für Jedermann – egal welchen Alters oder Standes – zu etablieren, führten rasch zu einer landesweiten Beliebtheit der Blätter. Aus den Aufzeichnungen des Verlags geht hervor, dass die Jahre 1860 bis 1870 zu den umsatzstärksten zählten, was auch auf die damaligen Beiträge von Wilhelm Busch zurückzuführen sein dürfte. In den darauffolgenden Jahren ging der Absatz der Bilderbogen jedoch allmählich zurück, da neue Bildmedien wie die Bildpostkarten, Lackbilder, Abziehbilder, Chromlithographien und Fotografien auf dem Markt erhältlich waren. Um dem Sinken der Auflagezahlen entgegen zu wirken, verkaufte der Münchener Verlag auch einzelne Blätter gebunden als Kinder- bzw. Anschauungsbücher, Nachschlagewerke zur Kostümkunde oder als Sammelalben zu ausgewählten Künstlern.

Auch wenn die Münchener Bilderbogen ab 1898 nur noch vereinzelt erschienen, lässt sich der damalige Erfolg der Einblattdrucke auch an ihrem Vertrieb ins Ausland erkennen. Ab Mitte der 1850er Jahre wurden die Blätter überregional nach England, Amerika, Russland, Schweden, Italien, Spanien, Portugal, Ungarn und in die Schweiz geliefert. Für den Export ins Ausland ließen die Herausgeber sogar für jede Sprache neue Druckstöcke fertigen, um die Bogen in entsprechender Übersetzung drucken zu lassen. Bedauerlicherweise war dies kein lukratives Geschäft, da die Verkaufszahlen zu gering waren und die Produktionskosten – bedingt durch die zusätzliche Übersetzung und den Transport – höher lagen als beim Vertrieb innerhalb Deutschlands.

Dank ihrer künstlerischen Qualität und der großen Palette an Bildthemen erfreuten sich die Münchener Bilderbogen während ihres Erscheinens großer Beliebtheit. Besonders aus Sicht der heutigen Forschung besitzen die Blätter einen unschätzbaren Wert, da die Wahl und Gestaltung ihrer Themen Aufschluss über zeitgemäße Wert- und Wunschvorstellungen geben und zudem das zeitgenössische Weltbild der Bevölkerung skizzieren. Gerade das Selbstverständnis der breiten Masse ist von großer Bedeutung, da es sich im 19. Jahrhundert um eine Zeit tiefgreifender sozialer Veränderungen handelt, ausgelöst durch die Prozesse der Demokratisierung und Industrialisierung. Wie Ulrike Eichler in ihrer umfassenden Untersuchung zu den Münchener Bilderbogen bemerkte, wurde speziell diesen Bilderbogen in der Forschung bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Nicht nur aus Sicht soziodemographischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung der humorvollen Bildunterhaltung sollten dem Genre der Bilderbogen auch in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

„Die künstlerischen, kunstgewerblichen und kunsterzieherischen Bilderbogen unseres Jahrhunderts, einem kleinen Verbraucherkreis vorbehalten, bauen auf ihrem Erbe auf. Die ‚Zeitungsbilderbogen‘ der illustrierten Familienzeitschriften und noch die Bildbeilagen unserer heutigen Presseorgane wurzeln in der Tradition jener Bilderbogenreihe. Die Entwicklung der comic strips basiert auf den im Münchener Programm erschienenen Bildgeschichten.“


Ulrike Eichler, Münchener Bilderbogen, in: Oberbayerisches Archiv. Bd. 99, München 1974, S. 72f.

 

Die Münchener Bilderbogen digital
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