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Mein digitales Semester

Im Gegensatz zu manchen anderen Ländern, in denen die Universitäten von einem auf den anderen Tag auf online-Lehre umstellen mussten, hatten wir in Deutschland mehrere Wochen Zeit, uns vorzubereiten. Ich war wild entschlossen, das digitale Medium nicht nur als Behelf anzusehen, sondern vielleicht sogar das eine oder andere damit zu realisieren, was besser lief als in der Präsenzlehre. Viel habe ich davon allerdings nicht hinbekommen. Was nicht am Medium liegt, sondern an mir. Immerhin soviel: Im Examenskolloquium habe ich die Vorteile von Gruppenarbeit genutzt, die im Rahmen einer Videokonferenz entschieden besser läuft als in real life. Wir haben zoom verwendet, weil die LMU München eine Sammellizenz angeschafft hat, in deren Rahmen offenbar auch die Datenschutzprobleme gelöst waren (na ja, so genau weiß man das nicht). Ich habe ein paar Mal zwei Gruppen gebildet, die aktuelle Streitfragen aus der Kunstwelt kontrovers diskutieren sollten. In zoom werden diese in sogenannte breakoutrooms geschickt, in denen sie sich vorbereiten können, so dass sie dann nach Rückführung in den Hauptraum sich gegenseitig beharken können. Haben sie getan. Und ich glaube, mit großer Begeisterung. Einmal ging es um Eike Schmidts (Uffizien) Vorschlag, die Kunst wieder in die Kirchen zurückzuführen (Streitfrage: ja oder nein), ein anderes Mal um Keith Christiansens instagramm-Erinnerung an Alexandre Lenoir, der in der Französischen Revolution die Kunstwerke gegen gewalttätige Bilderstürmer verteidigt hatte. Die blacklivesmatter-Bewegung hatte das als Kritik an ihren denkmalstürzerischen Aktionen in den USA verstanden. (Streitfrage: Christiansen rausschmeißen oder nicht?). Insbesondere bei der zweiten Frage ging es hoch her. Höher auf jeden Fall, als man das aus gewöhnlichen Seminaren kennt.

Für ein Proseminar schien es mir angesichts der Tatsache, dass der lockdown auch mit einer Schließung der Bibliotheken einherging, angebracht, auf Angebote zurückzugreifen, die schon in online-Form vorlagen. Das gilt etwa für das alte "Funkkolleg Kunst" aus den 1980er Jahren, von dem es bekanntermaßen seit den frühen 2000er Jahren eine erweiterte und angepasste online-Version gibt. Das Funkkolleg Kunst scheint mir immer noch die beste Einführung in den Gesamtstoff, auch wenn sie natürlich sehr dem Zeitgeist von post 68 verpflichtet ist. In der Vermittlung konnte man hier immer sehr gut darauf verweisen, dass auch Wissenschaft nicht neutral dasteht und jeweils vom eigenen zeitlichen Kontext mitbestimmt wird. Im Sinne des flipped classroom wurde hier die Substanz des Stoffes in der allwöchentlichen Lektüre vermittelt, während die Seminarstunden der Diskussion dieses Stoffes gewidmet waren.

Die online-Lehre wird uns noch eine Weile erhalten bleiben, ob wir wollen oder nicht. Mir scheint, dasss wir uns die guten Seiten dieser Form erhalten und auch dann einsetzen sollten, wenn der ganze Spuk wieder vorbei ist. Und im übrigen manches von dem, was online notwendig schien - z.B. die Lektüren zwischen den Seminarstunden - auch in der Präsenzlehre beizubehalten.

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