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Unvermittelt zur Distanzlehre. Ein Erfahrungsbericht

Im Unterschied zu Deutschland hat das Sommersemester an den österreichischen Universitäten bereits am 2. März 2020 begonnen. Am Dienstag, den 10. März 2020, wurden die Lehrenden an der Universität Salzburg über die notwendig gewordene Aussetzung der Präsenzlehre informiert. Ab diesem Zeitpunkt sollte der Unterricht in einer Form organisiert werden, die keine Anwesenheit von Studierenden an der Universität erfordert. Neben den Möglichkeiten der Lernplattform wurde dabei vor allem auf Video-Aufzeichnungen von Inhalten in nicht-prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen sowie auf Videokonferenz-Software in prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen verwiesen.

Am 11.3. erging die Mitteilung, dass die Lesesäle der Universitätsbibliothek geschlossen werden, Rückgabe und Entlehnung aber nach wie vor möglich wären. Am 13.3. wurde auch der Ausleihbetrieb eingestellt.

Am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems, das Teil der Universität Salzburg ist und aktuelle Forschungspositionen dort in der Lehre einbringt, nehmen Mitarbeiter*innen diesen fliegenden Wechsel in eine herausfordernde Situation zum Anlass, im Rahmen dieses Blog-Artikels erste Erfahrungen zu teilen und von Überraschungen, Hindernissen und (kleinen) Erfolgen zu berichten. Nachstehend fassen wir diese unter dem jeweiligen Unterrichtsformat zusammen. Neben zwei Lehrveranstaltungen an der Abteilung Kunstgeschichte ist hier auch die Perspektive aus der Geschichte und Archäologie vertreten.

 

Muss jetzt – geht jetzt!

Selbst für Mitarbeiter*innen an einem Institut, bei dem die Digital Humanities bereits einen wichtigen Schwerpunkt darstellten, als sich dieser Begriff noch lange nicht etabliert hatte, war bisher in Sachen Lehre der Fokus eher auf der Vermittlung der digitalen Methoden und Werkzeuge. Die Potentiale der digitalen Lehre, die eine – in Zeiten der Coronapandemie – mit dem Begriff Distanzlehre umschriebene Art des Unterrichtens möglich machen, spielten dabei meist eine untergeordnete Rolle und beschränkten sich bis dato weitgehend auf die Nutzung der Lernplattform für Kommunikation, Literaturhinweise und -ablage, sowie zum Verfügbarmachen von Präsentationen. Die jähen, von der Krise bedingten Änderungen der Rahmenbedingungen verlangen sowohl den Lehrenden als auch den Studierenden ein hohes Maß an Flexibilität, Kreativität und Geduld ab und wir alle mussten in den letzten Wochen lernen, mit der nicht in allen Punkten zu eliminierenden Ungewissheit zu arbeiten. Experimentieren und Adaptieren sind damit die Schlüsselworte in diesem Prozess. Für Fragen, ob das überhaupt funktionieren kann, bleibt kaum Zeit oder Energie. Erfreuliches Zwischenergebnis: alle von den Mitarbeiter*innen geplanten Lehrveranstaltungen können weitergeführt werden und Wege, wie Inhalte vermittelt werden und die Studierenden partizipieren können, lassen sich überall finden.

 

Ein Proseminar mit Schwerpunkt auf Videokonferenzen

Gerade in überschaubaren Gruppen bieten sich Videokonferenzen für prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen an. Der größte Vorteil dabei: Die zu vermittelnden und erarbeiteten Lerninhalte können wie gewohnt diskutiert werden. Allerdings musste auch hier erst eine bestimmte Etikette eingeübt werden (wenn möglich Verwendung von Headsets; Stummschalten, wenn man gerade keinen Beitrag leistet; Wortmeldungen durch Handzeichen oder über die Chat-Funktion signalisieren etc. – siehe dazu auch im Blogbeitrag Digitale Lehre in der Kunstgeschichte. Eine Handreichung). Voraussetzung dafür sind freilich die notwendige Soft- und Hardware sowie eine leistungsfähige und stabile Internetverbindung aller Teilnehmer*innen. In diesem konkreten Proseminar waren alle notwendigen Rahmenbedingungen erfüllt und damit auch über die wöchentlichen Treffen im virtuellen Raum einerseits eine bekannte Struktur gegeben und andererseits konnte mit diesem Format der Aufwand für Lehrende und Studierende demjenigen bei der Präsenzlehre angenähert werden. Überraschenderweise hatten selbst Studierende, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Videokonferenzen durchgeführt hatten oder über eher elementare Computerkenntnisse verfügen, eine hohe Bereitschaft sich mit diesem neuen Thema auseinanderzusetzen – hierunter fallen auch diejenigen, die nicht mit Computern und Vorläufern von Smartphones aufgewachsen sind. Funktionen, die man in der privaten Nutzung weniger verwendet, wie die Bildschirmübertragung, um eigene Präsentationen halten zu können, waren fast für alle Neuland. Hier können Erklärvideos der Software-Anbieter und Vorab-Tests unter Kommiliton*innen hilfreich sein. Es empfiehlt sich zudem, sicherheitshalber die Dateien der Präsentationen auch anderen Teilnehmer*innen zur Verfügung zu stellen, die diese nötigenfalls über ihren Bildschirm teilen können – für diejenigen Leser*innen, die noch Diavorträge kennen, wird so ein Modus Erinnerungen wachrufen. Vor allem für die Lehrenden – unter Umständen auch für die Studierenden – können (je nach verwendetem Equipment und Software) u.U. weitere anschließbare Bildschirme sinnvoll sein, damit während der geteilten Präsentation auch das Fenster mit der Videokonferenz (und damit die Reaktion der Studierenden) gut einsehbar ist und die Moderation der Diskussion erleichtert wird. Eine Gruppenarbeit zur Lektüre, die die Studierenden im Rahmen der genutzten Lernplattform erarbeitet hatten, zeigte, dass dafür die Lehrenden die Aufgaben, Arbeitsschritte und Ziele im Vorfeld sehr genau definieren müssen. Hier gilt es zu bedenken, dass Lehrende einerseits im Seminarraum viel mehr Möglichkeiten haben, noch auf Fragen während einer Gruppenarbeit einzugehen und andererseits mitunter auch für die Studierenden nicht nur die Aufgabe, sondern auch das Format unbekannt ist. Mit den mittlerweile gut eingeübten Videokonferenzen können für Gruppenarbeiten nun aber auch Treffen von Studierenden im virtuellen Raum stattfinden, bei denen z.B. in kollaborativen Tools, die von der Universität bereitgestellt werden (in Salzburg ist das Onlyoffice), gemeinsame Präsentationen oder Dokumente für die Lehrveranstaltung erstellt und dann allen Teilnehmer*innen via Bildschirmteilen vorgestellt werden. Auch hier gilt es im Vorfeld abzuklären, ob die kollaborativen Tools schon genutzt wurden und damit von den Studierenden ad hoc verwendet werden können.

 

Eine Vorlesung mit Bildschirm- und Audioaufnahmen

Von Seiten der Universität wurde echo360 für die Aufnahme, Verwaltung und Bereitstellung von Vorlesungseinheiten (Link zur Cloud auf der Lernplattform Blackboard) zur Verfügung gestellt. Die Aufnahme erfolgt in diesem Fall mit einem Macbook ohne Zusatzausrüstung, was mit einem Bemühen um lautes Sprechen (auch ohne zusätzliches Mikrofon) funktioniert. – Die Dozentin hatte bisher zwar in geringem Maße Blackboard für e-learning genutzt, ist aber keine Spezialistin in diesem Bereich. echo360 ist für die meisten Universitätslehrenden vermutlich nicht selbsterklärend: Die Möglichkeiten telefonischer Beratung sollten vor allem zu Anfang des Semesters gegeben sein. Die PPT-Präsentationen, die der Bildschirmaufnahme in echo360 dienen, werden auf Wunsch einiger Studierenden zusätzlich auf Blackboard hochgeladen (Durchgehen der Folien in “eigener” Geschwindigkeit, Lerntool: “Was erinnere ich aus der Vorlesungseinheit”).  – Zur Bereitstellung von Literatur: Da der Semesterapparat nicht zugänglich ist und die meiste Literatur zur Vorlesung nicht als e-book oder über jstor verfügbar ist, werden vermehrt Digitalisate auf Blackboard zur Verfügung gestellt. Weiters sind Diskussionsfäden zu allgemeinen Fragen und zu den einzelnen Vorlesungseinheiten eröffnet worden. – Nach ersten Stichproben bzgl. des Zugriffs stellt sich heraus, dass es ggf. eines Appells an die Studierenden bedarf, die Einheiten regelmäßig zu rezipieren und sie nicht in einem “Vorlesungsmarathon” vor der Prüfung zu absolvieren. – Zu den Prüfungen: Es sollte früh abgeklärt werden, welche Prüfungsmodi von Seiten der Universität akzeptiert werden, wenn Klausuren oder mündliche Prüfungen im Juni/Juli noch nicht möglich sein werden.

 

Ein Seminar mit hohem Anteil an interaktiven Lehreinheiten

Das Abhalten interaktiver Lehrveranstaltungen, die üblicherweise Präsenz voraussetzen, erweisen sich als besonders herausfordernd, da die digitalen Konferenztools noch längst nicht alle so ausgereift sind, wie es wünschenswert wäre, bzw. entsprechende Internetkapazitäten nicht bei allen Studierenden gegeben sind. Es empfiehlt sich, insbesondere die von den Universitäten vorgegebenen/empfohlenen Online-Konferenz-Tools zeitgerecht vorab zu testen, eventuell mit den Studierenden eine Probeeinheit zu machen, damit man noch auf ein Alternativtool – zur Not auch gegen die Empfehlungen der eigenen Universität – ausweichen kann. Jedenfalls sollte das Tool auch die Bildschirmpräsentation ermöglichen, damit auch Referate oder Inputs der Lehrenden mit Folienunterstützung möglich sind, auch die Funktion “Aufzeichnen” stellt eine Möglichkeit dar, um so anstelle von vorab erstellten Präsentationen diese “live” herzustellen.

Eine Möglichkeit, die sich – zumindest für einzelne Lehreinheiten – bereits bewährt hat, sind “Foren”, wo den Studierenden zu bestimmten Themenstellungen 1–2 Wochen vorab Aufgaben, wie beispielsweise Lesestoff oder Recherchen in Datenbanken etc. gestellt wurden. Am besten funktioniert es als dialektisches “Frage-Antwort-Spiel”, wobei der/die Lehrende in der Rolle des/der Fragenden ist und erst so spät wie möglich selbst Antworten liefert. Jede Frage sollte idealiter ein eigenes Thema sein, um die Informationen übersichtlich zu halten. Ein Problem, das allerdings sich als ausgeprägter erweist als in der Präsenzlehre, ist die Diskrepanz zwischen “Opinionleader*innen” und den “stilleren” Teilnehmer*innen. Hier ist der/die Lehrende als Moderator*in gefragt, gezielt auch alle anzusprechen bzw. einzelne Aufgaben in Kleingruppen oder auf alle Seminar-Teilnehmer*innen zu verteilen, damit sich auch alle beteiligen. Auch der eigenständige Upload von Kurzpräsentationen und die darauf aufbauende Foren-Diskussion funktioniert.

 

Ein Proseminar mit niederschwelligem eLearning-Einsatz

Für diese Lehrveranstaltung werden ausschließlich die Tools der Standard-eLearning-Plattform Blackboard verwendet, die an der Universität Salzburg implementiert ist und auf der automatisch alle Teilnehmer*innen eines Kurses freigeschaltet werden. Für die wöchentlichen Einheiten werden mehrteilige Aufgaben zusammengestellt und mit (geschätzten) Zeitangaben für die Bearbeitungsdauer versehen. Blackboard verfügt über eine Assignmentfunktion, auf der der Abgabezeitpunkt und die Punktezahl für die jeweilige Aufgabe festgelegt sowie direkt das Feedback eingegeben werden können. Die kleine Gruppe hat sich nur ein einziges Mal in der ersten Lehrveranstaltungseinheit “live” kennengelernt, das dürfte aber den Anstoß gegeben haben, dass alle mitmachen und die wöchentlichen Lernziele von allen erreicht werden (soweit lässt sich das nach 5 Einheiten schon erkennen). Auf die Frage, ob wir im weiteren Verlauf zur praktischen Durchführung der Präsentationen und Besprechungen auch Videokonferenztools einsetzen könnten, kamen mehrere abschlägige Rückmeldungen wegen fehlender Ausstattung dafür. Dies ist zu berücksichtigen, um niemanden auszuschließen womit gleichzeitig die derzeit im Einsatz stehenden innovativeren Ansätze von eTeaching nicht im vollen Umfang anwendbar sind. Es gibt derzeit noch keine gute Lösung dafür, wie die Themenfindung für die Proseminararbeiten ohne Impulsreferate und Diskussionsmöglichkeiten von statten gehen kann. Interessant zu beobachten ist, dass im Vergleich zu früheren Proseminaren (mit Präsenzlehre und face2face Gesprächen) nun wieder stark auf emails zurückgegriffen wird. Blackboard verfügt über ein integriertes email-Tool, um alle Teilnehmer*innen gleichzeitig zu informieren. Rückfragen seitens der Teilnehmer*innen an die persönliche Mailadresse der Lehrveranstaltungsleiterin bilden hauptsächlich adhoc-Fragen zu den Aufgabenstellungen, die immer zeitnah persönlich beantwortet werden. Darüber hinaus entwickelt sich (vermutlich als Ersatz für die Gesprächsmöglichkeiten) über email mitunter auch ein weiterführender Austausch mit einzelnen Teilnehmer*innen, dem nachgekommen wird, obwohl nicht alle daran beteiligt sind.

Fazit: Im Unterschied zu Bereichen, die ihre Prozesse gar nicht oder nur sehr limitiert in den virtuellen Raum übertragen können, ist der Unterricht an Universitäten glücklicherweise in Zeiten der Coronapandemie möglich – dass sich dennoch viele Einschränkungen ergeben, versteht sich von selbst. Distanzlehre wird aus unserer Sicht Präsenzlehre auch nach der Krise nicht ersetzen. In diesen herausfordernden Zeiten ist aber sowohl auf Seiten der Lehrenden als auch bei den Studierenden deutlich, wie wichtig hier Kontinuität ist. Gerade jetzt ist daher auch ein ungeheures Engagement auf beiden Seiten spürbar – sowohl was die Vermittlung und Rezeption von Lerninhalten als auch was die Aneignung von Digitalkompetenz angeht. Von Letzterem werden wir auch in einer Zukunft nach dieser unvermittelt auf uns hereingebrochenen Situation zu profitieren wissen.

Dieser Blogartikel wurde verfasst von Thomas Kühtreiber, Ingrid Matschinegg, Isabella Nicka und Heike Schlie vom Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems (Universität Salzburg).

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