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Concordia discors

Hommage an Werner Hofmann

 

Eine seiner Lieblingsfiguren war bis zuletzt die concordia discors. Mitnichten lässt sich diese, als Figur der Einheit in der Zweiheit („Eintracht in der Zwietracht“, „Zusammenherzigkeit im Zwieherzigen“), für Hofmann lediglich als zu erforschendes Form- und Strukturprinzip manieristischer Kunst nachweisen. Aus seinem Denken und Wirken sprach der Dialektiker. Das Vereinen der Gegensätze war Hofmanns Anspruch. Gegenstimmen, Gegenbilder, widersprechende Strömungen suchte er als Wissenschaftler und Ausstellungskustos dialektisch zu vermitteln. 

Seine erste größere kunstgeschichtliche Untersuchung widmete er der Karikatur. Er zeigte ihren Status als Gegenkunst zur Norm auf. Er suchte ihre formsprachlichen Eigenschaften als Randkunst und ihren Anteil an der Hochkunst zu ermitteln. Er beschrieb ihre Eigenart als Kunst der Verzerrung und als Gegenwurf zur harmonischen Schönheit. „Die Karikatur von Leonardo bis Picasso“ (1956) ist Hofmanns Dissertationsschrift.

Gegensätze und antagonistische Strömungen suchte Hofmann auch in seinem Wirken als Museumsdirektor offenzulegen und zu vermitteln. In seiner frühen Zeit als Gründungsdirektor des Wiener Museums des 20. Jahrhunderts lässt sich diese Devise von Anbeginn an feststellen und aufzeigen. So schuf er in der Eröffnungsausstellung des neu gegründeten Museums des 20. Jahrhunderts „Kunst von 1900 bis heute“ (21.9.–4.11.1962) nicht etwa der Kunst der Moderne mit einem Paukenschlag ein unstrittiges Forum, präsentierte diese nicht etwa einseitig als das spektakulär Neue, sondern er gab neben den Ausstellungssektionen zu innovativen Richtungen (‚Fauvismus‘, ‚Kubismus‘, ‚Blauer Reiter’, ‚Futurismus‘, ‚Konstruktivismus, De Stijl, Bauhaus‘, ‚Dada und Surrealismus‘) auch dezidiert den ‚Konservativen Tendenzen‘ Raum. Auf diese Weise hat er einer damals mit der modernen Kunst kaum vertrauten Öffentlichkeit diese als Kustos vermittelt. 

Die Reihe der Ausstellungen unter seiner Ägide in der Hamburger Kunsthalle zur „Kunst um 1800“ (1974–1980) sollte Epoche machen (Interview Werner Hofmann, Zeit vom 17.10.1980). Kulturhistorisch lässt sich die Reihe als Versuch der Re-Introduktion der Kunst der Romantik in das Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit auffassen. Museumshistorisch gelten diese Ausstellungen, beispielhaft wird hier meist die Ausstellung zu Caspar David Friedrich (Caspar David Friedrich 1774–1840, Hamburger Kunsthalle, 14.9.–3.11.1974) angeführt, als gelungene Exempel für frühe Blockbuster.

Weniger bekannt ist, dass eine französisch-deutsche Partnerschaft den Beginn dieser Geschichte machenden Ausstellungsreihe zur „Kunst um 1800“ beflügelte. Denn den Startschuss gab 1974 die Ausstellung „Ossian und die Kunst um 1800“. Aus dem Vorwort des diese Ausstellung begleitenden Kataloges geht hervor, wie Hofmann sich über eine für die Ausstellung laufende Zusammenarbeit mit dem französischen Kollegen Michel Laclotte aus dem Louvre freute. Hofmann hatte die Partnerschaft in die Wege geleitet. Die gemeinsame, geistes- und ideengeschichtliche Forschung zweier Wissenschaftler und nicht etwa die Politik der Institutionen hatte die internationale Kooperation ins Leben gerufen. 

 

In Hofmanns Worten heißt es:

„[Michel Laclotte] begann (...) in den „Dossiers“ des Louvre ein Ausstellungskonzept zu entwickeln, in dem ich meine eigenen Ideen [zur grundsätzlich internationalen Anlage ideengeschichtlich ausgerichteter Ausstellungen, WP] bestätigt fand. […] Unser Angebot [ein von der Hamburger Kunsthalle an den Chefkonservator der Gemäldegalerie des Louvre gerichtetes Angebot zur Zusammenarbeit, WP] wurde spontan angenommen. Gemeinsam geplant, ist diese Ausstellung das Ergebnis dessen, was Michel Laclotte im Vorwort des Pariser Kataloges als „l´amicale collaboration“ bezeichnete (…).

Eine solche direkte, von keiner politischen oder kulturinstitutionellen Patronanz gesteuerte Gemeinschaftsproduktion ist in der internationalen Museumspraxis nicht gerade häufig, deshalb muß man sie hervorheben. […]

Unsere Zusammenarbeit konnte kaum einen geeigneteren Gegenstand finden, denn gerade am Ossianismus werden einige der fruchtbarsten geistes- und kunstgeschichtlichen Kontakte zwischen Frankreich und Deutschland sichtbar. Darüberhinaus aber ist die Ausstellung einem „Moment de l´Europe“ gewidmet (wie ein französischer Politiker bei ihrer Pariser Eröffnung sagte), der heute unserem Bewußtsein erst wiedergewonnen werden muß. Sie soll zeigen, wie schnell vor 200 Jahren die Ideen von Land zu Land gingen (…).“

(Werner Hofmann, Vorwort, in: Kat. Ausst. Ossian und die Kunst um 1800, Hamburger Kunsthalle, 9.5.–23.6.1974, München 1974, S. 8)

Die Künste und die Geschichte der Künste lassen zwischen den Ländern vermitteln, ermöglichen, die concordia discors zu fühlen bzw. nachzuvollziehen. Die Kunstausstellung „Courbet und Deutschland“ (Hamburger Kunsthalle, 18.10.–17.12.1978, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt, 17.1.–18.3.1979), von Hofmann vier Jahre nach der Ossian-Kollaboration zum unangepassten, im Ruf politischer Radikalität stehenden Gustave Courbet organisiert, genoss ( – Hofmann dirigierte im Hintergrund – ) die Schirmherrschaft des französischen und des deutschen Außenministers, de Guiringauds und Genschers (Bericht, Zeit vom 27.10.1978). (Gleichzeitig rückte für einen Moment Courbet, Icon der Ideologiekritik, durch einen Gegenzug Hofmanns aus dem Lager der Linken.)

Frieden und Krieg zugleich hat Hofmann in der Kunst und durch die Kunst thematisiert. Er hat die Extreme thematisch unter einen Nenner gefasst und eine Kunstausstellung organisiert. „Künstler sehen Frieden und Krieg“ (1987) hieß eine von ihm zusammen mit Christoph Stölzl kuratierte Ausstellung. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer und der beginnenden Öffnung des Eisernen Vorhangs, Ereignisse, die damals in undenklicher Ferne schienen, haben Kunstwerke von russischen und deutschen, dabei BRD- und DDR-Künstlern, mit unterschiedlicher, teils konträrer Ausrichtung und Programmatik die Grenzen passiert. Im Rahmen von „Künstler sehen Frieden und Krieg“ waren die Werke gemeinsam zu betrachten – in Hamburg, München, Moskau und Sankt Petersburg.

Zwei Jahre später, zum 200. Jahrestag des Sturms auf die Bastille, betonte Hofmann die Dialektik der Revolution: Er zeigte Gewinn und Verlust, Glanz und Verfall: „Europa 1789. Aufklärung, Verklärung, Verfall“ (Hamburger Kunsthalle, 15.9.–19.11.1989). Die Pariser Veranstaltung zum Jahrestag hingegen wurde von ihm der Einseitigkeit überführt und vehement kritisiert (Werner Hofmann, Domestizierte Dissonanzen, Zeit vom 7.4.1989). Streit der Ideen und Dissonanzen der Ereignisse seien eben gerade nicht nachträglich aus Partei- oder Staatsräson zur reinen concordia zu glätten, sondern aus historischer Perspektive zu bewahren und zu vermitteln. 

Für die Kunstgeschichte hat Werner Hofmann das lange vergessene, schwierige 19. Jahrhundert wiederentdeckt. „Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts“ (19601, 19742, 19913) ist wohl Hofmanns bekanntestes Werk.

Niemand, der es las, wird vor Gustave Courbets „Atelier“ (1855) stehen können, ohne sich an die Einschätzungen Hofmanns zu erinnern. Er begriff das Werk, hegelianisch, als gewaltige Synthese. Ein Jahrhundertwerk, das die concordia discors augenscheinlich werden lässt.

Und wer genau hinsieht, wird bereits im Paradox des „irdischen Paradieses“ das produktive Zusammenspiel von Idee und Wirklichkeit, Poesie und Prosa, Himmel und Erde wahrnehmen, das im Buch beschrieben wird.

Als ich Werner Hofmann anlässlich eines Symposiums zum 100. Geburtstag von Ernst Gombrich 2009 in Greifswald zum ersten Mal traf, sprach er – und nun schließt sich der Kreis meiner Aufzählungen – über Karikaturen. 

Er stellte sie dar als Störfall der Norm, zeigte, wie die Karikatur bereits ihr Gegenbild in sich trägt. Wieder eine Figur der concordia discors: deformis formositas und formosa deformitas. Der Störfall, der in Frage stellt und bewegt. Drei Jahre nach dem Eklat um die Mohammed Karikaturen hat Hofmann ein Thema, das ihn bereits als junger Mann beschäftigte, aus aktuellem Anlass für die Zuhörer fruchtbar gemacht. Wir diskutierten aktuelle Karikaturen (Bereiche: I. Religion, II. Politik, u.a. Sean Delonas, Policemen shooting monkey, Obama cartoon, in: New York Post, 18.2.2009, voodoo-Nicolas Sarkozy, 2008) und zugehörige Pressestimmen. Die Pressestimmen hatte er auf ein Blatt kopiert und an uns alle verteilt. Er gab seinem Vortrag den Namen: „Sind Bilder gefährlich?“. Er hub an: Ja, Bilder können und sollen verletzen.

Die entgrenzenden Tendenzen der methodisch diskutierten Bildwissenschaft zeigte er ebenso im Rahmen des Symposiums („E.H. Gombrich – auf dem Weg zu einer Bildwissenschaft des 21. Jahrhunderts“) auf, auf die ausgrenzenden Tendenzen der Kunstgeschichte wies er im selben Zug hin. Zur Debatte stellte er, ob für Phänomene der ungewissen Künste (artes incertae) der Rahmen der Kunstgeschichte zu eng sei.

Das von Horaz (Epistulae, 1,12,19) auf den Vorsokratiker Empedokles gemünzte Oxymoron der concordia discors, das dieser grundsätzlich auf die Naturkräfte der Elemente anwandte, hatte für Hofmann prinzipielle Bedeutung. In Greifswald hat er gesagt: „Das Wechselspiel der Gegensätze verschönert, ja erhält die Welt.“
 

Das Digitale und die Digitalkultur hätte er dialektisch mit dem Materialen und der Materialkultur zu vermitteln gesucht. Die Tendenzen zum „material turn“ hätte er dialektisch als mächtigen Gegenzug begriffen und begrüßt. Die digitale Wende in den Geisteswissenschaften konnte er nur noch am Rande miterleben. Er fehlt sehr. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden.

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