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Provenienzforschung und kommunalpolitische Quellen. Zum Beispiel Frankfurt am Main

Ein Gastbeitrag von Dr. Dr. Gunter Stemmler M.A.

Die Aktivität der Stadt bei Raubgut und Übervorteilungen reichte – metaphorisch gesprochen – von Bergen bis zur Peleponnes, von Paris bis Polen und weiter ins Baltikum; das schloß Belgien und die Niederlande ein – z. T. ging es um beschlagnahmte jüdische Bibliotheken.
Aus Athen kamen Antiquitäten für das „Museum für Vor- und Frühgeschichte“, heute „Archäologisches Museum“, „da die Ausfuhrverbote ´durch die Besatzung, (wenn auch nicht de jure, so doch tatsächlich) außer Kraft gesetzt worden sind´“, wie man sich in Frankfurt freute.
„Der Ausfall“ internationaler und nationaler „Käufer in den eroberten Westgebieten legt den Gedanken nahe, die Gelegenheit zur Erwerbung von Kunstwerken für die Frankfurter Museen auszunutzen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist für Frankfurt ausserordentlich günstig,“ heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt von 1940/41, in dessen Erstellung das Hauptverwaltungsamt involviert war. Es zeigt sich daran, wie weitgestreckt der Kreis städtischer Mitarbeiter war, die involviert und zumindest informiert waren.
1942 und 1943 gingen die Ankäufe weiter.
Durch den Einfluß des Kulturdezernats und der Stadtkämmerei wurden Gelder aus der Stadt verbundenen Institutionen und Stiftungen für Ankäufe im Ausland während des Krieges verwendet.

Dies und weitere Aspekte sind nachzulesen mit zahlreichen Literaturangaben in der aktuellen Studie von Gunter Stemmler: Schuld und Ehrung. Die Kommunalpolitiker Rudolf Keller und Friedrich Lehmann zwischen 1933 und 1960 - ein Beitrag zur NS-Geschichte in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2017.

Als permanent gedachte, ungerechte Aneignungen waren eine Komponente im kulturellen Leben des totalitären NS-Staates. Dazu gehörten außerdem Entlassungen von Mitarbeitern aus Museen und Bibliotheken wie auch in Frankfurt die Prüfung der Ahnennachweise von Studierenden der Kunst in der Städelschule sowie die Aufnahme von Goebbels und Rust ins Kuratorium zum Goethe-Preis. Bezeichnend ist zum Beispiel der Titel „Braune Blätter der Städtischen Bühnen“ für eine Broschüre dort.

Wie zahlreich können die vielfältigen Spuren in mancherlei Kontext über 12 Jahre gewesen sein, die ein solcher NS-Kommunalpolitiker hinterlassen hat? Die Anzahl der Entscheidungen läßt sich grob wie folgt schätzen: eine 40 Stundenwoche ist eine gering angesetzte Arbeitszeit und ergibt bei 50 Arbeitswochen 2.000 Stunden mal 12 gleich 24.000 Stunden. Bei 2 Entscheidungen pro Stunde sind dies aufgerundet 50.000 Entscheidungen: Je nach Arbeitsstil und Aufgabengebiet führte dies zu Verschriftlichungen. In der Kombination läßt sich ein pro und contra zur Sache oder Person rekonstruieren, unabhängig davon, ob bewußt oder unbewußt gehandelt wurde.

Zu den in Frankfurt vorhandenen überblicksartigen Quellen im Institut für Stadtgeschichte (= Stadtarchiv) gehören die jährlichen Verwaltungsberichte der Stadt, die Monatsberichte, welche der Oberbürgermeister an den Gauleiter Jakob Sprenger zur Information schickte, sodann die Protokolle der „Besprechungen mit den Gemeinderäten“, den sog. Ratsherrensitzungen, und schließlich die Protokolle der Amtsleiterbesprechungen. Die Dezernenten wurden im „Dritten Reich“ in Frankfurt als „Amtsleiter“ bezeichnet, um das „Führerprinzip“ sichtbar werden zu lassen. Diese Ausdrucksweise der Lingua tertii imperii sollte die Dezernenten, also die politische Ebene, sprachlich als ausführendes Verwaltungsorgan des Oberbürgermeisters sichtbar machen; de facto agierten sie fast durchweg als Dezernenten.
Zu Personen kann auf Personalakten sowie auf in Wiesbaden im Hauptstaatsarchiv befindliche Spruchkammerakten verwiesen werden.

Begrifflich sind Vorgänge zur Provenienzforschung beispielsweise zu finden unter „Übernahmen“ oder Ankäufe, die als „Frankfurter Altbesitz“, „Finanzamt Frankfurt“, „von der Stadt überwiesen“ oder „Pfandhaus Frankfurt“ benannt wurden.

Die Distanz zu den Quellen muß ggf. weitreichend sein: Andreas Hansert hat in seiner Untersuchung zum Frankfurter Senckenberg-Forschungsmuseum Fälschungen entdeckt: Die vorliegenden Protokolle des sog. „Führerbeirats“ in der NS-Zeit waren nach 1945 vom Leiter in neuer Fassung geschrieben worden.

Man sollte sich von Einschätzungen nach dem Krieg nicht täuschen lassen: Zu Kellers Verabschiedung als Kulturdezernent erklärte Alfred Wolters, Direktor der Städtischen Galerie, gut ein Jahr nach dem Ende des „Dritten Reiches“ unter anderem: „Sie haben das Schiff der Stadt wahrhaftig ... auch durch Schwärme von Seeräubern hindurch steuern müssen. Dass es Ihnen gelungen ist, trotzdem die köstliche Fracht im Ganzen zu erhalten und zu bergen, das bedeutet sehr viel.“ Daß der Kulturdezernent bei Arisierungen zum Kreis der „Seeräuber“ gehörte, hatte Wolters anscheinend schon verdrängt. Und er hatte wohl auch nicht die vielfältigen Verluste an Kulturobjekten im kriegszerstörten Frankfurt vor Augen, wenn er meinte, Keller habe sie „im Ganzen“ erhalten und geborgen; dies stellt eine Lobhudelei unter weitgehendem Realitätsverlust dar - außer, man interpretiert es als Teil einer Argumentationsstrategie, welche mittels Leugnen Kulturpolitiker und Kulturmanager in ein besseres Licht stellen sollte.

Eine Gesamtschau wird auf zahlreichen tief recherchierten Details beruhen. Denn viele Handlungen lassen sich nur bedingt beurteilen: wer wird schon zwischen ´33 und ´45 einen Akt des Widerstandes oder politischen Ungehorsams als solchen bezeichnet oder dokumentiert haben? Um Motive eruieren zu können, sind vergleichbare Situationen zu Rate zu ziehen. Bei hauptamtlichen Stadträten gibt es zahlreiche Lebensbereiche, die dafür in Frage kommen und deshalb ausgewertet werden können. Es ist ex officio oder aus Interesse resp. Machtstreben, daß sie eine Einflußnahme in Vorständen von Stiftungen oder Vereinen, in Kuratorien, Preisgerichten, in parteipolitischen und bürgerschaftlichen Gremien sowie
Aufsichtsräten einnehmen. Im Zentrum stehen selbstredend die kommunalen Kernfelder, wobei es hier nicht zu übersehen gilt, daß dazu auch die Vertretung eines Kollegen innerhalb einer Stadtregierung bei Urlaub oder Erkrankung zählt. Bei einer längeren Krankheit ist dann die Vertretung nicht nur nominell, daß heißt der Vertreter muß relevante Entscheidungen treffen. Dann können in dem anderen Amt Unterlagen gesammelt worden sein, die über eine kurzfristige Ersatzfunktion hinausgehen. Weil in Frankfurt der NS-Rechtsdezernent Müller zeitweise amtierend das Bauamt betreute, könnte es sein, daß in Akten des Bauamtes Persönliches oder bei Akten des Rechtsamts zu Bauprojekten im Kulturbereich Funde existieren. Zudem schlug Müller 1939 in einer sog. Amtsleiterbesprechung für das Bauamt mit einer unverschämten Begründung vor, bei der „Synagoge Freiherr vom Stein-Strasse“ die „Bronzeteile am Eingang“ zu entfernen: er sprach sich dafür aus „da sie unnötig zu Diebstählen Veranlassung geben könnten.“ Und Müller ließ durch das Bauamt „Metallbestände“ vom „Judenfriedhof“ „entfernen u. in Verwahrung nehmen“. Nimmt man die Unterlagen zu diesen Beratungen zur Hand, so sind weitere vergleichbare Vorgänge auffindbar.

Wenn man bedenkt, daß die Lebensumstände nach 1945 eine Versuchung darstellten, eine Gesellschaft zu bilden, die ihre Gemeinsamkeit auch in der wechselseitigen Zusprechung und Anerkennung fand, „anständig“ geblieben zu sein, so startete die junge Bundesrepublik in der Etablierung eines Handlungskontextes für Kulturinstitutionen, Provenienzforschung im wesentlichen für lange Zeit nur als Alibi-Aktivität zu handhaben, um den Suchenden Sand in die Augen zu streuen.

Fazit: Auch die Städte bildeten eine stabile Säule im NS-Staat: das Regime konnte sich darauf verlassen, daß die Stadtverwaltungen intensiv in einen Großteil der Lebensbereiche einwirkten. Gerade hauptamtliche Politiker sind im Sinne und für ihre NS-Oberbürgermeister tätig gewesen. Die NS-Kommunalpolitiker Keller und Lehmann profitierten persönlich vielfältig durch ihre Ämter – bis hin zu jeweils einer privaten Zwangsarbeiterin im Haushalt vom Ende 1942 bis zum Herbst 1944. Eine längere Befassung mit Frankfurts NS-Kulturdezernenten und NS-Stadtkämmerer vermittelte den Eindruck, es habe ein permanentes Streben, ja, eine Einstellung unter wesentlichen Akteuren gegeben, immer neue Ansätze und Methoden zur Bereicherung zu suchen und zu finden. Im totalitären Staat hatte ein machtbasiertes Lebensgefühl bisher vorhandene Schranken, legal und legitim zu handeln, eingerissen. Dabei wurde auch ein kultureller Ausdruck verstärkt, Ansehen durch in Objekten gebundenen Reichtum anzustreben. Es verwundert von daher nicht sehr, daß im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik mit seinen eine gesellschaftspolitische Restaurierung wünschenden Alt-Eliten und vielen homini novi es wenig Interesse gab, solche geraubten Wertgegenstände zu restituieren.
 
Das Nachvollziehen der Handlungen von Kommunalpolitikern kann Einblicke in Motive beim lokalen NS-Raub gewähren. Und es können auf diesem Wege weitere Quellen für die Rekonstruktionen der Provenienzforschung ermittelt werden. Dann sind neben den von den Tätern mit Scheinwerfern ausgeleuchteten Terrains Tiefenbohrungen anzusetzen, da es dort vielversprechend ist, um näher an den Kern der Geschehnisse zu gelangen.
Es gibt noch viel zu forschen, damit es wieder heißen kann: Unrecht Gut gedeihet nicht.


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