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Afrika – oder: Was ist los mit der Kunstgeschichte?

Gastbeitrag von Ulrich Pfisterer

In Berlin ist „Unvergleichlich. Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ / „Beyond Compare. Art from Africa in the Bode Museum“ zu sehen: „Bis zur Eröffnung des Humboldt Forums treten auf der Berliner Museumsinsel 80 Hauptwerke afrikanischer Skulptur in den Dialog mit europäischen Bildwerken,“ fasst der Katalog das Projekt zusammen. (1) Das Bode-Museum wirbt nicht nur an seinen Außenwänden mit großen roten Bannern dafür, „zum Experimentierfeld für Bildung und Vermittlung“ zu werden. Es experimentiert wirklich. Geht neue Wege mit allen damit verbundenen Risiken. Durchbricht den Ausstellungs-Kanon, mit dem an anderen Orten immer noch häufig nur schöngeredet wird, dass seit längerem nichts Wesentliches mehr verändert wurde. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass sich die Berliner Museen zunehmend als tatsächlich gemeinsame Museumslandschaft präsentieren und hier nun das Ethnologische Museum in der Skulpturensammlung und dem Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum ausstellt. Beides scheint gerade aus Münchner Perspektive besonders beneidenswert.

Klar ist auch, dass eine solche Schau das Berliner und damit natürlich immer auch Welt-Publikum auf die Ankunft dieser und anderer Objekte im Humboldt Forum vorbereitet und als Testlauf für bestimmte Präsentationsoptionen dort verstanden werden kann. Dabei dürfte im Bode-Museum das dialogische Geben und Nehmen beider Kontinente in dieser gemeinsamen Präsentation einigermaßen ausgewogen sein. Die afrikanischen Objekte werden demonstrativ als Kunst präsentiert, die auf einen Sockel neben europäische ‚Meisterwerke‘ gestellt werden können – das signalisiert gleich eingangs die Paarung von Donatellos Putto vom Sieneser Taufbrunnen mit einer Prinzessin oder Gottheit der Zeit um 1600 aus Benin. Im Gegenzug hat man den Eindruck, etwa der Saal mit spätgotischen Flügelaltären gewinnt neue Spannung und Aufmerksamkeit durch die Gäste. Afrika dürfte für ein größeres Publikum derzeit nicht nur wegen der aktuellen geopolitischen Lage zugkräftig sein – wenn sich eine Erkenntnis aus ‚Game of Thrones‘ heranziehen lässt, dann die, dass gerade Afrika und Mittelalter zusammen, verdoppelte Alteritäten sozusagen, alle Quoten schlagen.

Schließlich zielt die zurecht als Provokation aufgeworfene Frage nach Vergleich und Vergleichbarkeit auf eine der wichtigsten kunsthistorischen Methoden und theoretischen Herausforderungen, die sich unter den neuen Bedingungen einer globale Zusammenhänge in den Blick nehmenden Kunstgeschichte mit besonderer Dringlichkeit stellen.

 

Der tatsächliche Gang durch die Ausstellung provoziert dann allerdings in ganz anderer Weise und mit anderen Fragen.

Bleiben wir zum Beispiel vor der eindrucksvollen hölzernen, mit zahllosen Nägeln gespickten Kraftfigur (mangaaka) der Yombe in der zentralen Achse des Saales mit spätgotischen Flügelaltären stehen. Im Wechselspiel mit Michael Erhardts Schutzmantelmadonna soll sie die Frage „Wer braucht Schutz?“ thematisieren. Die Muttergottes „bietet einen defensiven Schutz“, „[d]emgegenüber strahlt der mangaaka eine aggressive Kraft aus“. (2) Die Madonna ist aus den Jahren um 1480, die Kraftfigur aus dem 19. Jahrhundert – und dies nicht nur, da Objekte aus Afrika erst seit dieser Zeit in größerer Zahl überliefert sind. Möglicherweise wurde diese „neue Gattung von Kraftfiguren“ überhaupt erst nach 1850 als Reaktion auf die „traumatischen Umwälzungen“ in der Region Chiloango durch die europäischen Kolonialmächte geschaffen, wie im Katalog referiert. Was soll uns also der Vergleich und seine Kommentierung sagen? Afrika ist aggressiv, Europa defensiv? Afrika im 19. Jahrhundert entspricht der Entwicklungsstufe des europäischen Mittelalters – und wäre das ein Fortschritt etwa gegenüber der Propyläen-Kunstgeschichte von 1923, wo Afrika im Band Die Kunst der Naturvölker und der Vorzeit verhandelt wurde? (3)Oder sollen wir uns als moderne, aufgeklärte Betrachter bewusst machen, dass es solche bildmagischen Praktiken auch einmal bei uns selbst gegeben hat? Wenn letzteres, warum wurde dann nicht zeitlich viel näher etwa auf den 1915 errichteten Eisernen Hindenburg in Berlin verwiesen, die größte Holzfigur, die im Zusammenhang mit den Kriegsnagelungen des Ersten Weltkriegs aufgestellt wurde? (4) Wobei die Tradition von Nagelungen (wenn auch mit unterschiedlichen Motivationen) zumindest bis zum Wiener Stock-im-Eisen aus dem frühen 16. Jahrhundert zurückgeht – also die gesamte Neuzeit umfasst und wir vermutlich eben doch nie so modern gewesen sind, wie es die Aufklärungs-Fiktionen gerne hätten. Zwar erfüllten die Kriegsnagelungen auch deutlich andere Funktionen als die mangaaka: Aber nicht nur der Kontext von Krieg und Gewalt wäre im weitesten Sinne vergleichbar. Der symbolische Akt der Kraftübertragung, das Einschlagen der Nägel in die Skulptur als Verweis einerseits auf das Niederstrecken der Feinde, andererseits auf die Unterstützung des eigenen Heers, scheint mir nicht weit von Bildmagie entfernt.

 

Mangaaka (Kraftfigur, Nkisi Nkondi), Yombee, Region des Flusses Chiloango (Demokr. Republik Kongo, Republik Kongo oder Cabinda, Angola), 19. Jh., Holz, Eisen, Porzellan, Farbpigment, erworben 1904

Nun gibt es keinen Nagelmann mehr in den Depots der Staatlichen Museen Preussischer Kulturbesitz, den man zeigen könnte. Aber auch sonst wird den afrikanischen Skulpturen des 19. Jahrhunderts keine einzige europäische Skulptur dieser Zeit gegenüber gestellt. Geht so tatsächlich die Absicht des Ausstellungsteams auf, die andere, viel häufiger bemühte Sicht auf afrikanische Objekte und europäische Kunst zu überwinden: Afrika und „primitive Kunst“ als Inspiration für abstrahierende Formgebung und Expressionsstreben der Moderne zu verstehen – verkürzt Picasso und Carl Einsteins Negerplastik (S. 11f.)?  

Allein bestimmte im Kontext des frühen 20. Jahrhunderts ‚aufgeladene‘ Begriffe nicht zu verwenden, jedoch an den diese Kategorien affirmierenden Inszenierungsformen gleich in der ersten Vitrine festzuhalten, ändert die Sehgewohnheiten nicht. Donatellos tanzender Putto war als schmückende Nebenfigur eines Ensembles konzipiert und wurde ehemals im Umschreiten des Sieneser Taufbeckens wahrgenommen. Die Benin-Statuette stand vermutlich auf einem Altar. Für einen Vergleich hätte es eine Altarfigur aus dem Italien des 16./17. Jahrhunderts gebraucht. Diese gibt es (zumindest in Berlin) nicht aus Bronze und in annähernd gleicher Größe. So dürfte dieses Nebeneinander des Unvergleichbaren bei vielen Besuchern nur bestätigen, was man ja eh schon wusste: Europäische, naturnachahmende Kunst ist ‚lebendig‘, bewegt, rundumansichtig, afrikanische Kunst dagegen blockhaft geschlossen, auf Grundformen reduziert und ornamentalisiert. Dieses Opfern von Präzision zugunsten von Gegenüberstellungen oberflächlich ähnlicher Objekte aus dem Museumsbestand findet sich mehrfach. Und es gibt sogar noch Steigerungen: Warum wird unter der Überschrift „Mutterschaft“ (Kat. 7.12) eine pfemba-Skulptur, die eine nackte, kniende, ihr Kind stillende Mutter zeigt (19. Jh.), ausgerechnet mit einer vollständig bekleideten Madonna kombiniert, wieder von Michael Erhard (um 1480/85), die ihrem Kind kompensierend ein (in dieser Form im 19. Jahrhundert ergänztes) Saugfläschchen reicht? Europäische Darstellungen der das Jesus-Kind stillenden Muttergottes sind zwar nie ganz nackt und präsentieren zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich viel Brust – aber wie gerade eben erst in Berlin am Beispiel von Fouquets Melun-Madonna zu sehen gewesen war, durchaus auch viel. Also warum ausgerechnet dieser Vergleich, den man als Kontrast zwischen einem bekleideten, kontrollierten, zivilisierten Europa und einem allein körperverhafteten Afrika missverstehen kann?

 

Der Katalog verweist von Anfang an nachdrücklich auf die Sammlungsgeschichte der afrikanischen Skulpturen – die mindestens dritte Zeitstufe von Objekten im Museum neben deren Entstehungszeit und der aktuellen Betrachtungszeit (es ließen sich noch weitere Zeitstufen ausmachen): „Ein zentrales Thema dieser Ausstellung ist die Frage, was geschieht, wenn Objekte entweder einem ethnologischen oder einem Kunstmuseum zugewiesen werden.“ (5) Die Gegenüberstellungen mit mittelalterlicher Skulptur (freilich nicht ausschließlich) solle auf die Motivationen der ‚Wiederentdeckung‘ des Mittelalters im 19. Jahrhundert verweisen, „im Einklang mit dem Grundprinzip der Ethnologen, Kunst und materielle Kultur zeitgenössischer Gruppen zu sammeln, von denen [man] glaubte[…], dass sie kurz vor dem Aussterben stünden“ (S. 12). Das erhoffte Ziel schließlich wird mit Dipesh Chakrabartys Schlagwort vom „Europa provinzialisieren“ beschrieben (S. 13f.).

Allein in der Ausstellung selbst kommen diese Ansätze und Perspektiven nur schwach, wenn überhaupt zum Tragen. Offenbar wird die visuelle Macht und Eigendynamik der Präsentation und Gegenüberstellung von Skulpturen unterschätzt, wenn man etwa glaubt, „Aura“ und „Autorität“ (S. 17) von kleinen Beschriftungstäfelchen könnten hier eine kritische Brechung des Blicks bewirken. Teils hat man auch den Eindruck, zugunsten der ästhetischen Gesamtinszenierung der Ausstellung wurden Informationen und visuelle Argumentationen eingeschränkt.

 

Dabei überschreiben die Ausstellungsmacher (wieder einmal) die afrikanischen Objekte demonstrativ mit dem Label „Kunst“, um deren (ehemaligen Sammlungs-)Status als ‚ethnographische Objekte‘ endgültig auszutreiben. (6) Dagegen geht es der westlichen Kunstgeschichte seit mindestens zwei Jahrzehnten darum, von der ausschließlichen Fokussierung auf Kunst wegzukommen und im Sinne der Bildwissenschaft alle Arten von Bildern, Objekten und Artefakten in eine umfassende Analyse einzubeziehen. Beide Ansätze stehen in unterschiedlicher Weise vor der Schwierigkeit, wie sich mit der Kategorie Kunst operieren lässt, ohne Modellen und Vorstellungen von westlicher Kunsttheorie und Autonomieästhetik unterworfen zu sein (S. 16). Wobei die pauschale ‚Ver-Kunstung‘ aller afrikanischen Skulpturen genauso unbefriedigend bleibt wie die Geringschätzung von ‚Kunstgewerbe‘ und ‚Nicht-Kunst-Bildern‘ in Europa.

Nehmen wir wieder das Beispiel der Kraftfigur: Dieser Typus ist selbst noch aus dem früheren 20. Jahrhundert äußerst selten vollständig mit den Nägeln überliefert. Rarität, Verehrung oder ‚Bildmacht‘ dürften freilich nicht immer auch mit besonderer künstlerischer Qualität bzw. Bedeutung einhergehen – jedenfalls lässt sich dies in vergleichender Perspektive an den Objekten der frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern oder den katholischen Madonnen- und Heiligenbildern feststellen. Der Katalog bemüht nun einen ganzen Reigen alternativer Beurteilungskriterien, spricht etwa „Material und Materialität“ eine „herausragende Bedeutung“ zu (S. 16), erinnert an verschiedene Schönheitsideale und mahnt zugleich, „Werke afrikanischer Kunst [nicht] als schlecht geschnitzt, als plump oder als primitiv im Vergleich zu europäischen Kunstwerken zu beurteilen“ (S. 35). Aber was bedeutet es konkret für den mangaaka, wenn man etwa als Zusammenfassung der knappen Materialsektion liest: „Häufig sind die wichtigsten Objekte – diejenigen, die die Schönheitsideale betonen – aus kostbaren Materialien erstellt. Diese Materialien zu meistern, stellt besondere Herausforderungen und erlaubt Künstlern, ihre Kunstfertigkeit zu beweisen“ (S. 48)?

 

Gedenkkopf eines Königs oder Würdenträgers, Ile-Ife (Nigeria),
12.-15. Jh., Terrakotta, erworben 1913

An anderer Stelle verdrängt die Begeisterung für den neuen Vergleich von Europa und Afrika geradezu den Stand der kunsthistorischen Forschungsdiskussionen. So ist bislang aus gutem Grund noch niemand auf die Idee gekommen, dass die angeketteten Gefangenen oder „Sklaven“ an Schlüters Reiterdenkmal für Kurfürst Friedrich Wilhelm – Personifikationen der besiegten Feinde Brandenburg-Preussens – auch auf den Sklavenhandel des Landes verweisen könnten (zumal mit Sicherheit keine autochthone Einwohner des sub-saharischen Afrika dargestellt sind). In einer Ausstellung zum Verhältnis Europa-Afrika gibt es aber keinen methodischen Hinderungsgrund, alle Ketten und Gefangenen immer auch „als einen Verweis auf den Sklavenhandel zu interpretieren“. (7) Auf Schlagworte eingekocht sind Kategorien wie „Paare“, „Haare“ oder „Porträtköpfe“ (Unter dieser Rubrik wird ein bronzener Benin-Gedenkkopf mit einer doch wohl abgebeizten Johannesschüssel zusammen gebracht, die durch ihren Verlust an Farbigkeit erst ‚gut‘ vergleichbar wird. Eine weitere Gegenüberstellung, Kat. 6.10 und 6.11 „Im Angesicht des Todes“, ist für „Porträtköpfe“ ebenfalls aufschlussreich – das Prinzip der Eins-zu-Eins-Vergleiche hat aber offenbar verhindert, dass an einer Stelle der Ausstellung durch eine kleine Reihe von Benin-Köpfen deren „dynastische Kontinuität über Generationen hinweg“ auch einmal anschaulich nachvollziehbar wäre). Von den intensiven Forschungsdiskussionen zu diesen Fragen in der europäischen Kunst wird in der Ausstellung kaum etwas vermittelt, geschweige denn im Katalog zitiert. Und warum wird eigentlich kein einziges Objekt aus Portugal/dem Westen der iberischen Halbinsel gezeigt, obwohl diese Region doch entscheidend den frühen Handel mit Afrika betrieb?

 

Insgesamt fragt man sich, ob und wenn ja, was die Ausstellung im Bode-Museum über den Stand der Diskussionen um das Humboldt-Forum aussagt, für das alle diese Aspekte und Argumente doch schon vielfach überlegt sein dürften? Es bleibt zu hoffen, dass das Experiment von „Unvergleichlich. Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ wirklich Konsequenzen hat:

1. Was man sich auf jeden Fall vom Bode-Museum auf das Humboldt-Forum übertragen wünscht, ist die Idee, ein bewegliches „Experimentierfeld“ für die Zukunft zu bleiben. Die Debatten von ‚Orientalismus‘ bis „Europa provinzialisieren“ haben gezeigt, dass (westliche) Perspektiven, Überzeugungen und Fantasien einen andauernden Prozess (selbst-)kritischer Reflexion verlangen, ohne dass Standpunkte je ganz aufgehoben werden können (und sollen). Gerade das Sehen und Fragen des Ästhetischen werden wohl immer besonders stark von unterschiedlichsten Konditionierungen mitbestimmt sein. Das Museum darf daher nicht nur Objekte präsentieren und die Geschichte ihrer Diskursivierungen in Texte auslagern. Entscheidend sind die Ideen, wie das Arbeiten an und mit den Exponaten, die Prozessualität der scheinbar immer gleichen Objekte, ihr unerschöpfliches visuelles Potential und die Parameter ihrer Wahrnehmung für die Anschauung vorzuführen sind. Die Relevanz der Humboldt-Konzeption wird sich dabei nicht nur an den heute gewählten Perspektiven, sondern wesentlich auch an den mitbedachten Möglichkeiten der Änderung, Ergänzung, Korrektur und Selbst-Kritik erweisen.

2. Im Hinblick auf die kunsthistorischen Belange wird dies nur überzeugen, wenn die Diskussionen und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte über Kunst (wobei dieser so stark westlich konnotierte Begriff letztlich unvermeidlich scheint) im Verhältnis zu Bildwissenschaft und materieller Kultur auch in globalem Kontext ernst genommen werden. Weder den afrikanischen noch allen anderen Bildwerken und Artefakten ist damit gedient, wenn sie im Zuge des wachsenden Interesses an globalen Zusammenhängen nun wieder allesamt als ‚Kunst‘ angesprochen werden.

3. Die Banalisierung der (westlichen) Kunstgeschichtsforschung in solchen globalen Zusammenhängen muss aufhören (sehr wahrscheinlich gilt das auch andersherum für die Kunstgeschichten Afrikas, Asiens, Amerikas …). Wenn Vergleichbarkeit (oder auch ‚Unvergleichbarkeit‘) erst dadurch herzustellen ist, dass auf die allergrößten und -gröbsten Kategorien zurückgegriffen wird: Mann, Frau, Gewalt, Schutz, Kopf mit zwei Augen, Nase und Mund, dann muss man sich fragen, was damit eigentlich für neue Fragen oder Einsichten erzeugt werden – über ein ‚Alle Menschen sind gleich und dann doch wieder verschieden‘ hinaus. Die neuen Perspektiven und Horizonte lassen sich nur auf der Komplexitätsstufe der Einzelergebnisse, wie sie in den bisher geographisch sektionierten Kunstgeschichtsforschungen erzielt wurden, überzeugend zusammenführen und weiterentwickeln.

4. Weg mit dem Diktat ästhetisierender und ‚didaktischer‘ Museums-Präsentationen, wenn diese verhindern, Objekte und Argumente angemessen differenziert zu zeigen und wahrzunehmen. Die Objekt-, Bild- und Kunstgeschichten der Menschheit sind Herausforderungen – zumal, wenn sie über weite und unterschiedliche Teile der Welt hinweg verglichen werden sollen. Das Humboldt-Forum ist eine Herausforderung. Der Gang durch dessen Präsentation muss und darf einen Teil dieser Herausforderung vermitteln. Wenn jedoch die Beschriftung auf ein Minimum reduziert ist, weil angeblich die Museumsbesucherin/der Museumsbesucher in der Regel nicht mehr liest oder lesend erfassen kann (eine statistische Zumutung), wenn Vergleiche vor allem deshalb auf Zweierpaare festgelegt scheinen, weil das gut mit der Beschriftungsschildchen-Ästhetik zusammenpasst, dann reduzieren sich Kurzinformationen bei zunehmend komplexen Zusammenhängen auf zunehmenden Unsinn. Und wenn Kontext und Funktion zentral sind, dann müssen diese zumindest in Grundzügen nachvollziehbar sein.

5. Bei Ausstellungen älterer nicht-westlicher Kunst wird häufig auch zeitgenössische Kunst aus dem entsprechenden Gebiet gezeigt. „Unvergleichlich“ wartet mit bemerkenswerten Arbeiten der Fotografin und Kunsthistorikerin Nomusa Makhubu aus Kapstadt auf (wobei man an anderen Orten, etwa jüngst im British Museum, den Eindruck hatte, gerade die KünstlerInnen aus Afrika sind im Westen erfolgreich, die die westliche Erwartung einer Auseinandersetzung mit afrikanischen Traditionen besonders geschmeidig erfüllen). Auch hier scheint mir die ungewollte Botschaft zweifelhaft: Ist Afrika so ‚zeitlos‘, dass ein Königskopf aus dem 12.-15. Jahrhundert neben einer modernen Fotografie Sinn macht? Ist Afrika in sich so undifferenziert, dass eine Künstlerin aus Kapstadt auch für den ganzen Rest einstehen kann? Lässt sich umgekehrt Nomusa Makhubu nur vor dem Hintergrund der Tradition ‚Afrika‘ ausstellen? Ich bestreite gar nicht, dass interessante Perspektiven durch solche zeitübergreifenden Vergleiche entstehen können. Aber warum werden dann bei der Mehrzahl von Ausstellungen älterer westlicher Kunst nicht auch zeitgenössische Kunstwerke integriert?

 

So führt der Gang durch die Ausstellung „Unvergleichlich. Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ letztlich zur Frage, was eigentlich los ist mit der (westlichen) Kunstgeschichte in globalen Perspektiven.

 

 

(1)    Julien Chapuis/Jonathan Fine/Paola Ivanov (Hgg.): Unvergleichlich. Kunst aus Afrika im Bode-Museum,Berlin 2017, Umschlagrückseite.

(2)    Chapuis/Fine/Ivanov 2017, Kat. 7.5.

(3)    Barbara Paul: Schöne heile Welt(ordnung). Zum Umgang der Kunstgeschichte in der frühen Bundesrepublik Deutschland mit außereuropäischer Kunst, in: kritische berichte 31/2 (2003), S. 5-27, bes. S. 16f.; vgl. auch Thomas W. Gaehtgens: Weltkunstgeschichte als Kunst der Menschheitsgeschichte. Zu Karl Woermanns Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, in: Manuela De Giorgi u.a. (Hgg.): Synergies in Visual Culture, München 2013, S. 543-560; Susanne Leeb: Die Kunst der Anderen: „Weltkunst“ und die anthropologische Konfiguration der Moderne, Berlin 2015.

(4)    Michael Diers: Nagelmänner. Propaganda mit ephemeren Denkmälern im Ersten Weltkrieg, in: ders. (Hg.): Mo(nu)mente. Formen und Funktionen ephemerer Denkmäler, Berlin 1993, S. 113-135; de.wikipedia.org/wiki/Kriegsnagelungen.

(5)    Chapuis/Fine/Ivanov 2017, S. 9.

(6)    Zur Geschichte dieses Bemühens neben Paul 2003 (wie Anm. 3) etwa Alexis Malefakis: Die westliche Aneignung der Afrikanischen Kunst. Konturen einer westlichen Konzeption, Magisterarbeit München 2007 (https://www.about-africa.de/images/muenchen/downloads/MU-2008FT13%20Alexis%20Malefakis,Magister-Arbeit.pdf); Monica Blackmun Visona: Constructing African Art Histories for the Lagoons of Côte d’Ivoire, Farnham/Surrey/Burlington (VM) 2010.

(7)    Chapuis/Fine/Ivanov 2017, Kat. 7.13.

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