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Blick in die Stuttgarter Ausstellung – Teil 3: Meinungsfreiheit = Narrenfreiheit?

Vielfach gehen Beurteilungen über eine wie auch immer „gelungene“ Karikatur weit auseinander. Gelten sie dem einen Betrachter als treffsicher, fühlt sich ein anderer getroffen und verletzt. Sehen sich karikierte Politiker verunglimpft und beleidigt, freuen sich andere wiederum, überhaupt darstellungswürdig zu sein und dies auch noch auf belustigende Weise. Selbst die künstlerische Gestaltung spaltet die Schar der Rezipienten. Karikaturisten hätten es schwer, wollten sie alle Prämissen von Aktualität, Überzeitlichkeit (d.h. über den Moment hinausgehend verstanden werden können), pfiffiger These, die schnell zu erfassen ist, Umgehung der Zensurbestimmungen und darüber hinaus einer pointierten, nicht beleidigenden Darstellung erfüllen. Dies wurde im Rahmen des Thementages „Was darf Satire?“ in Stuttgart während der abschließenden Podiumsdiskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln erörtert.

Persönlichkeitsrechte schränken die freie Meinungsäußerung ein. Nicht alles, was (anderen) gefällt, ist auch erlaubt, wird die Person des Dargestellten bloßgestellt, öffentlich verspottet und diffamiert. Heute regelt dies der Pressekodex gleich in seinem ersten Abschnitt – die Menschenwürde muss gewahrt bleiben. Im achten Abschnitt folgt der Hinweis auf die zu wahrenden Persönlichkeitsrechte, allerdings mit der vagen Formulierung, dass das Verhalten der Person auch von öffentlichem Interesse sein und deshalb von der Presse erörtert werden kann. Diesen nehmen Paparazzi für sich in Anspruch, wenn sie der A-, B-, und C-Prominenz mit monströsen Teleobjektiven zu Leibe rücken. Der Deutsche Presserat kann Rügen erteilen, die dann auch im betroffenen Medium veröffentlicht werden müssen.

Was hat dies aber mit Karikaturen zu tun? Heute scheint alles gut geregelt zu sein und so fühlte sich der Mitdiskutant Kostas Koufogiorgos auf dem Stuttgarter Podium als Karikaturist im demokratischen Rechtsstaat sicher, aller Anfeindungen gegen seine politischen Zeichnungen zum Trotz. Beim Blick in die Vergangenheit wird aber schnell klar, dass Karikaturisten während des 19. Jahrhunderts keineswegs auf den Staat bauen konnten, den sie in ihren Darstellungen kritisierten. Eine Rechtssicherheit gab es nicht, oder nur insofern, als von vornherein klar war, dass die Zensurbehörde mit Sicherheit ihr Recht durchsetzen würde.

Mit unterschiedlichsten Mitteln versuchten die Zeichner, ihre Meinung dennoch kund zu tun. Eines jener Mittel folgte dem Volksmund, demgemäß Kinder und Narren alles sagen dürfen. So „verkleideten“ sich die Karikaturisten als Narren, wenn sie besonders brisante Themen angingen. Unter dieser Maske verborgen, schoss Charles Philipon (1800-1861) beispielsweise in einer nach seinen Anweisungen von Auguste Desperret (1804-1865) ausgeführten Karikatur spitze Pfeile auf Politiker ab. Die von Philipon herausgegebenen Zeitschriften („La Cariacature“ und „Le Charivari“) liegen derweil wild zerstreut auf dem Boden, die in nächster Nähe zum Betrachter / Leser bald in alle Winde zerstreut sein werden. Der Narr / Philipon zielt sehr genau auf die Köpfe der Regierung, sein nächster Schuss gilt dem König Louis-Philippe. Jeder Pfeil trifft sein Ziel, haarscharf an der Zensur vorbei. Die Säge-Nase vom damaligen Oberstaatsanwalt Jean Persil (1785-1870), der ein Jahr nach Erscheinen der Karikatur („La Caricature“, 28.3.1833) zum Justizminister ernannt wurde, reicht nicht weit genug, um am Bein des Schützen zu sägen – noch, ist man zu denken geneigt. Die Erscheinungsform der Politiker spielt auf die griechische Mythologie und der neunköpfigen Schlange Hydra an. Doch sind hier nur acht Köpfe zu sehen. Vermutlich werden – gemäß der Sage – gleich mehrere Köpfe nachwachsen, sobald einer von ihnen abgeschlagen ist. Das Unterfangen des Narren ist an sich löblich, versucht er das Ungeheuer der Zensurbestimmungen vom Kopf her anzugehen und die dafür Verantwortlichen unschädlich zu machen. Doch ist zugleich auch deutlich, wie wenig aussichtsreich dieses Vorhaben ist, wenn die getroffenen Personen / Köpfe jederzeit ausgetauscht werden können.

Aus heutiger Sicht würde eine solche Darstellung, in der Personen ganz offensichtlich und unter Ausübung von körperlicher Gewalt angegriffen werden, mit dem Argument des Schutzes der Persönlichkeitsrechte heftige Reaktionen hervorrufen und trotz der eingeräumten Meinungsfreiheit verboten werden. Dies schon alleine deshalb, weil zu befürchten wäre, es könnte Nachahmer geben, die eine solche Zeichnung wortwörtlich in die Tat umsetzten. Man traut sich intellektuell nicht mehr so selbst über den Weg, wie es scheint. Selbst heute genießt der Narr nicht alle Freiheiten! Wohin das in der Vergangenheit führte, folgt demnächst.

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