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Commons-basiertes Wirtschaften

Auch etwas für die Kunstgeschichte? nach oben

Mich hat zuletzt die Lektüre von Jeremy Rifkins Buch über die "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" schwer beeindruckt, gerade auch, weil es im scheinbar trockenen ökonomischen Gewand eine Utopie formuliert, die sich so deutlich von all den gängigen Internet-Zweiflern (Morozov, Lanier, Schirrmacher, Eggers etc.) unterscheidet. Null Grenzkosten gibt es dort, wo jede zusätzliche Version eines Produktes tendenziell nichts mehr kostet. Beispiel online open access: Das erste Buch kostet (nämlich die Zeit, es zu schreiben), jedes weitere nichts mehr, egal, ob es das zweite oder zweitausendste ist. Der Profit nun entsteht im Kapitalismus als abhängige Variable der Grenzkosten. In Rifkins Augen ist damit der Niedergang eben dieses Kapitalismus eingeläutet, weil zukünftiges Wirtschaften tendenziell profitlos vollzogen wird. Stattdessen sieht Rifkin die Rückkehr von Formen gemeinschaftlichen Wirtschaftens am Horizont aufscheinen, was er mit dem Begriff der Allmenden-Wirtschaft zusammenfasst. In "lateral skalierten, Netzwerk-Kooperationsstrukturen", wie sie mit dem Internet möglich werden, soll zukünftig produziert und konsumiert werden, tendenziell kostenlose Sonnen-Energie über smarte Netze zwischen den dezentrtal produzierenden und verbrauchenden Nutzern ausgetauscht und die meisten Gegenstände des täglichen Bedarfs auf 3D-Druckern ausgedruckt werden. Wer es nicht glauben will, sollte das Buch lesen! Eine faszinierende, in vielen Punkten natürlich klärungsbedürftige Vision, die bei unseren gesammelten adornistisch oder foucaultianisch inspirierten Feuilleton-Dystopikern mehrheitlich auf Kritik stößt. (Beispiel)

 

Im Zentrum von Rifkins Überwindungs-Rhetorik steht die einstmals berühmte, zwischenzeitlich eher berüchtigte Sharing-Economy. Gefragt, was bei solchen global agierenden Anbietern wie uber antikapitalistisch sein soll, antwortete Rifkin bei einer Berliner Buchvorstellung: Das ist ein Übergangsphänomen, in Zukunft würde man angesichts der Leichtigkeit der technischen Organisation sicherlich lokale, eben lateral und nicht top down strukturierte Unternehmungen zum Teilen von Autos oder allen möglichen anderen Produkten einführen. Die Idee, das Internet eher im lokalen als globalen Maßstab zu verstehen, hat etwas Beeindruckendes. Das Folgende mag wie kleinbürgerlicher Sozialismus klingen und auch schon an anderen Stellen vorgeformt sein, aber es würde mich interessieren, ob so etwas irgendwo praktiziert wird - einmal abgesehen davon, dass es etwa in der berühmten "Digitalen Stadt Amsterdam" Vorformen gegeben hat.

 

Ich gehe einmal davon aus, dass eine lebendige Identitätsbildung in Großstädten nicht etwa auf gesamter Stadtebene abläuft, sondern allenfalls auf Stadtteilebene. Mein alltäglicher Wirkungsradius bezieht sich an meinem Wohnort in München auf die Maxvorstadt, in die Innenstadt komme ich ein- bis zweimal die Woche, nach Trudering ein bis zweimal im Jahr. Es liegt also nahe, die Maxvorstadt als ein Netzwerk im Rifkinschen Sinne zu verstehen und den Versuch zu unternehmen, deren Einwohnerschaft zu einer solidarischen, dabei gleichzeitig die Einzelinteressen berücksichtigenden Form zu entwickeln. Jede/r in diesem Netzwerk hat einerseits Bedürfnisse und andererseits kann er/ sie etwas bieten. Ein einsamer Rentner würde gerne einmal mit einem Maxvorstädter bei diesem zuhause zu Abend essen, aber er hat auch Zeit, um einen Hund vier Stunden zu beaufsichtigen. Der eine kann Fahrräder reparieren, braucht aber einen Babysitter. Kunsthistoriker/innen - jetzt kommt's -  verfügen in der Maxvorstadt über ein Weltklasse-Ensemble von Museen, und er/ sie weiß und kann erklären, was darin zu sehen ist. Eine Internet-Plattform zu entwickeln, in der der Austausch von Angebot und Nachfrage organisiert würde, wäre eine aufwändige Unternehmung, aber so wahnsinnig kompliziert scheint sie mir nicht zu sein. Und um den Rifkinschen Atavismus in Sachen Gemeinschaftswirtschaft noch zu toppen: Das Ganze ließe sich durchaus auch ohne Geldzahlungen denken. Statt dessen könnte man Punkte sammeln (wenn Leistungen geliefert werden) oder Punkte abgeben (wenn man Leistungen in Anspruch nimmt).

 

Wie gesagt, das Ganze klingt verrückt, aber mit dem Internet würde es funktionieren. Was mich in erster Linie hier interessiert: Gibt es solche "lateral skalierten Nachbarschaftsnetzwerke" schon in der Realität? Und natürlich: Könnte man diesem Gedanken nicht gerade als Kunsthistoriker/in sogar so etwas wie ein Geschäftsmodell abgewinnen? Ich freue mich in dem Zusammenhang schon auf unseren Studienschwerpunkt "digital entrepreneurship", der wir im Rahmen des Promotionsprogrammes "Digitale Kunstgeschichte" an der LMU aufbauen. Denn da gehört so etwas natürlich genau hinein!

10 Kommentar(e)

  • Anne Fischer
    05.10.2014 17:45
    blog?

    Hallo Hefelin,
    Ja, ich habe zweimal gedrückt, sorry. Alles andere gehórt fùr mich nicht auf diesen blog, oder?!

  • Anne Fischer
    23.09.2014 14:01
    lmu entrepreneurship

    Über die Zeitschrift biss (Juniausgabe?) Bin ich aufmerksam geworden auf www.mitwohnen.org. In der Zeitschrift ist beispielhaft eine Wohngemeinschaft eines asiatischen Studenten und einer alten Dame in überdimensionaler Wohnung vorgestellt. Auf der Vermittlungsseite geht es viel um Haushaltshilfe, Kinderbetreuung, Tierpflege, andere Menschlichkeiten. Ich kenne mitwohnen.org nur als Internetdienst. Wie zu erwarten finden sich dort auch viele Suchangebote älterer Teilnehmer. Ich werde bis Ende des Monats an wikilovesmonuments teilnehmen und verstehe diese Seite gewissermassen als Austausch, vielleicht auch Tausch mit der indirekten Option auf Wirtschaftsförderung für die Denkmalpflege. Ich erinnere mich des Weiteren an eine Kolloquiumsteilnehmerin, die sehr rührig eine Kulturplattform für München zur Vernetzung mitaufbaut. Vielleicht gibt es schon so Manches?! Die Haupthürde mag vielleicht die Veröffentlichung/Bekanntmachung und Bekanntheit/Nutzung auf der anderen Seite sein. Ich bemerke, dass es da sehr viel zu tun gibt und das liegt vielfach daran, dass Kulturschaffende nach meiner Erfahrung sehr gerne verschlossen sind. Vielleicht liegt es an der ewigen Urheberrechtsfrage, vielleicht liegt es an einer speziellen Existenzangst oder auch an mir persönlich als Pendant? Auf jeden Fall erlebe ich das Internet wesentlich offenherziger und das ist gut so, vor allem für neue Wirtschftsformen nicht nur in der Maxvorstadt.

  • Anne Fischer
    23.09.2014 13:56
    lmu entrepreneurship

    Über die Zeitschrift biss (Juniausgabe?) Bin ich aufmerksam geworden auf www.mitwohnen.org. In der Zeitschrift ist beispielhaft eine Wohngemeinschaft eines asiatischen Studenten und einer alten Dame in überdimensionaler Wohnung vorgestellt. Auf der Vermittlungsseite geht es viel um Haushaltshilfe, Kinderbetreuung, Tierpflege, andere Menschlichkeiten. Ich kenne mitwohnen.org nur als Internetdienst. Wie zu erwarten finden sich dort auch viele Suchangebote älterer Teilnehmer. Ich werde bis Ende des Monats an wikilovesmonuments teilnehmen und verstehe diese Seite gewissermassen als Austausch, vielleicht auch Tausch mit der indirekten Option auf Wirtschaftsförderung für die Denkmalpflege. Ich erinnere mich des Weiteren an eine Kolloquiumsteilnehmerin, die sehr rührig eine Kulturplattform für München zur Vernetzung mitaufbaut. Vielleicht gibt es schon so Manches?! Die Haupthürde mag vielleicht die Veröffentlichung/Bekanntmachung und Bekanntheit/Nutzung auf der anderen Seite sein. Ich bemerke, dass es da sehr viel zu tun gibt und das liegt vielfach daran, dass Kulturschaffende nach meiner Erfahrung sehr gerne verschlossen sind. Vielleicht liegt es an der ewigen Urheberrechtsfrage, vielleicht liegt es an einer speziellen Existenzangst oder auch an mir persönlich als Pendant? Auf jeden Fall erlebe ich das Internet wesentlich offenherziger und das ist gut so, vor allem für neue Wirtschftsformen nicht nur in der Maxvorstadt.

    • hefelin
      01.10.2014 13:10
      LMU-entrepreneurs für bezahlbaren Uni-nahen Wohnraum

      Liebe Anne,
      das ist ja nett, dass Du, scheint's, in Deinem Eifer gleich zweimal auf die Absendetaste gedrückt hast, und keiner merkt's hier von den Administratoren.
      Vom Münchner Studentenwerk gib es schon die Notlösungen, damit Studenten überhaupt zu Wohnraum kommen: http://www.studentenwerk-muenchen.de/wohnen/weitere-wohnangebote/wohnen-fuer-hilfe/
      Tja, was macht man nicht alles, damit ...
      Warst Du vielleicht auch am 14. Januar 2013 im Audimax bei der Wahlveranstaltung, wo Dieter Reiter u.a. alles Mögliche für bezahlbaren Wohnraum für Studenten versprachen. Lustig war der Vorschlag vom FDP-Dr. Mattar, es sollten doch die Uni-Institute nicht so viele Häuser im Umfeld der LMU besetzen. Das verknappe ja auch den Wohnraum in Uni-Nähe. Ich plädiere dafür, dass die Professoren und Professorinnen aus Schwabing und der Maxvostadt wegziehen sollten und die bisher von Ihnen gemieteten Wohnungen den Studenten überlassen sollen (die großen Wohnungen natürlich für Studenten-WG's). Das könnte die Mieten in dieser Gegend etwaig auch wieder senken. Und da meint unser neuer OB Reiter, Schwabing (und Max-Vorstadt) wären die Vorzeigeorte, wo friedliche Koexistenz aller Bevölkerungsschichten realisiert wäre (auch noch verkehrsberuhigt). Hat der eine Ahnung!!! Suchst Du auch eine Wohnung? Ist schon der Horror!
      Grüße (ich drück' nicht zweimal)
      hefelin

  • hefelin
    20.09.2014 11:17
    alles schon da!

    Mich erinnert das an die Tatsachen, dass (Haute-)Couturiers auf der Straße ihre "Ideen finden" (haha!), sie dann umsetzen, und diese dann - evtl. in edleren Ausführungen - auf den Laufstegen als die neuesten Modecreationen präsentiert werden, - natürlich copyright by den jeweiligen Designern (samt Knete). Hat Herr Rifkin nicht einfach Ideen in seinem neuesten Buch verarbeitet, die er selbst als bereits existierende - also sogar schon umgesetzte und nicht nur theoretische - vorgefunden hat? Da gibt's doch schon jede Menge davon. Kann man alles per Recherche im Internet (wie denn sonst) finden: repariere Waschmaschine gegen Autoausleihe am kommenden Wochenende, fahre Mutter im Rollstuhl spazieren gegen Buchhaltungshilfe, etc.. Kann sein, dass da andere Qualitäten gefragt sind als Mit-dickem-Geldbeutel-Protzen. Hat Herr Rifkin eigentlich gutes, altmodisches Geldsalär für sein Buch erhalten? Und schätzt er dann doch, dass er sich unabhängig entscheiden kann, ob er sich davon einen Urlaub auf den Seychellen oder ein PS-starkes Auto leistet? Also Herr Professor Kohle will sich einen Hund "zulegen" und hat selbst zu wenig Zeit, zuverlässig bei Bedarf mit ihm Gassi zu gehen. Getarnt hat er hier eine Suchanzeige aufgegeben, wer das übernehmen könnte. Aber nur in der - teuren - Maxvorstadt wohnend, weil's ja in München noch keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt (leider noch mit Geld zu bezahlen). Hilft ihm da jemand aus dem Schlamassel (sine pecunia, er hat ja keines)?
    PS: Auch derzeit in der öffentlichen Diskussion: wie viele Menschen in Deutschland mehreren Jobs nachgehen müssen, weil die Bezahlung (pecunia!) in einem viel zu gering für eine normale Lebenshaltung ist.

  • Sabine Scherz
    19.09.2014 09:54
    Tauschring

    Bei uns im Ort gibt es seit mehreren Jahren einen Tauschring:
    http://www.letspetershausen.de/wasistlets.html

    • Sabine Scherz
      19.09.2014 14:19
      Offline-Vermittlung

      Ja, ich denke die Offline-Vermittlung dürfte zum einen der ehrenamtlichen Organisation geschuldet sein. Andereseits sollte es aber gerade für einen Tauschverein möglich sein, eine zeitgemäße Vermittlung der Angebote auf die Beine zu stellen.

      Von einem Tauschheft ist die Rede, aus der man Hilfeleistungen aussuchen bzw. anbieten kann. Das ist vorsintflutlich.
      Ich erkunde mich mal, wie gut dieses Projekt angenommen wird und welche Bürger es nutzen. Aufgrund der Aufmachung der Website und der Vermittlung per Tauschheft vermute ich, dass der Nutzerkreis eher älter ist, keinen Computer bzw. viel Zeit hat.

      Die Idee finde ich sehr gut. Allerdings spricht mich die Art der Vermittlung überhaupt nicht an. Ich gehe nicht erst einen Frisörsalon um mir ein Tauschheft zu besorgen. Nee!

    • Lilian Landes
      19.09.2014 14:10
      Online/offline

      Der Gedanke fasziniert mich auch schon seit Langem (in Frankreich gibt es übrigens eine sehr viel stärkere dahingehende Bewegung, nennt sich "décroissance", worauf eine Lokalisierung ja letztlich hinausläuft). Das Beispiel mit dem Maxvorstädter Rentner offenbart aber genau eine Problematik: Bis wirklich alle, die für ein funktionierendes Netz gebraucht werden (also auch alle Generationen) gleich netzaffin sind, wird es m.E. noch ein Weilchen dauern.

    • Hubertus Kohle
      19.09.2014 10:13
      Ergänzung

      Allerdings ist das Internet hier bei genauerem Hinsehen doch wohl nur als Verweis auf eine Vermittlungsstruktur zu sehen, die ansonsten offline abläuft, nicht wahr?

    • Hubertus Kohle
      19.09.2014 10:08
      Aha

      Das ist genau das, was ich meine. Funktioniert es denn? Interessant auch die geradezu empörte Zurückweisung der Vermutung, man würde mit der lokalen Dienstleistungsindustrie in Konflikt geraten (wie bei uber). Denn darauf läuft es irgendwie natürlich doch auch hinaus ...

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