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Was zu beweisen wäre

Im Grafischen Kabinett des Kölner Wallraf-Richartz-Museums gibt es möglicherweise „eine kleine Sensation“ zu bestaunen! Vor ein paar Jahren entdeckten Kuratoren im kooperierenden Dresdner Kupferstich-Kabinett neben einem bereits in anderem Zusammenhang ausgestellten ‚Initialblatt’ sechs weitere altniederländische Feder- bzw. Pinselzeichnungen und schrieben diese der Hand eines Anonymus zu, datiert kurz vor 1500. Die Behauptung „Die Erfindung der Landschaft um 1500 – Einem Zeitgenossen von Hieronymus Bosch auf der Spur“ soll nun in der sehr pointiert arrangierten Kölner Ausstellung nachvollziehbar gemacht werden: http://www.wallraf.museum/index.php?id=385
Eine Besonderheit wäre allein schon, ‚sieben [Blätter] auf einen Streich’ gefunden zu haben, sind doch nach Übersicht des bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten „Corpus der deutschen und niederländischen Zeichnungen von 1350-1500“ – im Gegensatz zu 2500 deutschen in diesem Zeitraum – gerade mal 700 für die Niederlande belegt.
Mit dem etwas umständlichen Notnamen versehenen „Meister der Dresdner Wilhelm von Maleval-Zeichnung’ versehenen Blättern könnte also kunsthistorische Stilkritik und naturwissenschaftliche Analyse nachweisen, dass wir es hier möglicherweise mit einem bis dato unerkannten Zeitgenossen von Hieronymus Bosch zu tun haben. Letzterer gilt bisher als Inventor der sich verselbständigenden landschaftlichen Skizze und Souverän der frühen niederländischen Zeichenkunst – allerdings für die Zeit zwischen 1500 und 1510; gefolgt von Joachim Patinir, der die Landschaft gewissermaßen in die weitgehende Unabhängigkeit entließ.
Schaut man sich jedoch die Beweisführung für die mögliche Existenz eines Bosch-Vorläufers durch das die Forschung und Ausstellung initiierenden ’Dresdner Typologie-Projekts’ an, so wirft sie zumindest einige Fragen auf.
Bis auf die titelgebende Federzeichnung (dem „Initialblatt“), in deren Vordergrund hoch aufragend der Heilige Wilhelm von Maleval steht, sowie die „Felsenlandschaft mit einem Schlafenden“, sind die anderen Blätter – wie die erstgenannten sämtlich von herausragender künstlerischer Qualität – nahezu reine Landschaftsdarstellungen! Dabei fällt auf, dass sich der Prospekt, nicht wie bei Bosch (und damit in der van Eyckschen Tradition stehend) in einen flachen, nach hinten gekippten, weiten Raum erstreckt, sondern hier der Blick über zerklüftete, teilweise mit Architektur versetzte Felsformationen in die Ferne gelenkt wird. Zum Teil erscheint die Szenerie der Maleval-Ansichten geradezu herangezoomt und erstaunt, wie im Fall von „Blick über eine Felsenklippe mit kahlem Geäst auf einen Kirchturm“ darüber hinaus mit linearen Abstraktionen etwa jener Äste und punktuell angedeuteten Vogelschwärmen. Dieser Künstler beherrscht nicht zuletzt die Perspektive meisterhaft. Eine Auffassung, die so ausgeprägt für den angesetzten Zeitraum und die kunstgeografische Zuschreibung recht ungewöhnlich erscheint – zumindest in den nicht-figurativen Landschaftsdarstellungen!. Was davon abgesehen, aber in diesem Zusammenhang besonders frappiert: Weder Landschaftstopografie noch Architektur scheinen wirklich niederländisch geprägt zu sein! Burgen auf und inmitten solch bergiger Formationen wird man selten in den „südlichen Niederlanden (Brügge, Gent, Antwerpen)“, die dem Maleval-Meister als Wirkungsort „aus stilistischen wie inhaltlichen Gründen“ zugeordnet werden, ansichtig geworden sein (vgl. gleichnamiger Katalog wie Ausstellungstitel, Wallraf Richartz-Museum 2013, S. 27). Hat der Künstler diese ‚Eindrücke’ auf einer Reise festgehalten? Jedenfalls scheinen es keine reinen Phantasieprospekte zu sein. Dass der Künstler überhaupt Niederländer gewesen sein soll, wird nur mit dem weiteren Argument belegt, dass nämlich die Darstellung des heiligen Maleval in der niederländischen Malerei um 1480 und besonders in Brügge Hochkonjunktur gehabt habe…

Der „angestrebte Indizienbeweis“, so die Kunsthistoriker mit und um Thomas Ketelsen, sollte denn flankierend von naturwissenschaftlichen Materialuntersuchungen untermauert werden. Für die Datierung wurden Analysen von Tintentypen, Papier und Wasserzeichen herangezogen. Ergebnis: fast ähnliche Tintentypen, voneinander abweichende Wasserzeichen (nur bei drei Blättern identisch) und eine Papierherstellung, die für die „1480er und 1490er Jahre als wahrscheinlich anzusehen ist“ (Katalog S. 23). Dass Papiere gerade für Zeichnungen (weniger für Drucke) teilweise über lange Zeiträume gehortet wurden und damit Datierungen ohnedies bestenfalls eingegrenzt werden können, scheint hierbei außer Acht gelassen.
Bedauerlich ist davon abgesehen, dass bei einer solch zugespitzt eingerichteten Kabinettausstellung, die auch Laien einmal hinter die kunsthistorischen Kulissen schauen lässt, gerade die stilistische Beweisführung so wenig transparent ist. Sinnvoll wären etwa ergänzende italienische und deutsche Zeichnungen aus jener Zeit gewesen, um im Vergleich den jeweiligen Besonderheiten auf die Spur zu kommen – wenn man schon auf geographische Abgrenzungen abhebt!

Nicht schlüssig ausgeführt bleibt im Präsentationszusammenhang darüber hinaus, warum die Zeichnung „Baummensch“ von Bosch eine von einem Gemälde unabhängige, weder vorbereitende noch reproduzierende Zeichnung sei, dies aber „für die Dresdner Landschaftsskizzen in dieser Strenge“ nicht in Anspruch genommen werden könne (Katalog, S. 25).Wenn auch über die hohe Qualität der Dresdner Zeichnungen kein Zweifel besteht, bleibt als Fazit trotzdem fraglich, ob tatsächlich der Meister der Maleval-Zeichnung „das Medium der Zeichnung erstmals mit Raum gefüllt hat“ (vgl. Katalog S. 23).

Bis 21.4.2013

2 Kommentar(e)

  • Hubertus Kohle
    27.03.2013 15:19
    Stimmt

    Hallo Herr Graf
    das stimmt. Allerdings dürfte in erster Linie die einigermaßen umständliche Handhabung von Bildern in typo 3 der Grund für die Zurückhaltung sein. Aber das ändert nichts daran, dass ein derartig bilderloser Kunsthistorikerblog etwas Widersinniges hat. Ich habe unsere Techniker gebeten, noch einmal eine Anleitung herumzuschicken, und dann kann man nur hoffen.

  • Dr. Klaus Graf
    26.03.2013 01:47
    Chance verschenkt

    So sehr ich dieses Blog mitunter schätze: Gibt es außer bildrechtlicher Ängstlichkeit irgendwelche nachvollziehbaren Gründe, in einem Kunsthistorischen (!) Blog nicht mit BILDERN zu arbeiten? Bilder, das sind diese bunten Dinger, die uns Deppen Anschauung vermitteln könnten. Selten habe ich Illustrationen oder wenigstens Links zu solchen so schmerzhaft vermisst in diesem klugen Beitrag, der durch seine Bildlosigkeit gleichwohl ALLES falsch macht.

    http://www.museenkoeln.de/homepage/default.asp?s=30

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