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Die Bibliothek im online-Zeitalter

Die Bibliothek im online-Zeitalter nach oben

Wenn in naher Zukunft der Bibliotheksbestand im wesentlichen online sein wird, könnte man fragen, wofür diese Bibliotheken als physische Gebilde überhaupt noch gut sein sollen. Eine der Antworten dürfte heißen: Nicht mehr als Container von toten Büchern, sondern von lebendigen Menschen. Eine andere nennen meine Informatiker-Kollegen Francois Bry und Klaus Schulz: Die Bibliotheken könnten Angebote machen, sinnvoll und produktiv mit dem von ihnen online zur Verfügung gestellten Material umzugehen. Ein Beispiel dafür liefert die  Georgetown University in Washington/ D.C.. Mit MyDante liefert sie eine mehrsprachige kommentierte Ausgabe von Dantes Divina Commedia, und vor allem erlaubt sie dem Nutzer den produktiven Umgang mit dem Material. Der kann in selbstgewählten oder aus einem extensiven Fundus geschöpften Illustrationen bestehen ("One of the most striking features of MyDante is its extensive image gallery, which includes illustrations of Dante’s poem created throughout history as well as other images thematically related to the Commedia. You can place these images throughout the poem, and you can create and upload your own images to illustrate the text"), aus geschriebenen Kommentaren ("As you read, you can annotate the poem, just as medieval monks would have written notes in the margins of their texts. You can add bookmarks, annotations, and footnotes, all of which can be either private or shared") oder aus avancierten Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Dantisti in der ganzen Welt ("MyDante fosters a sense of community among readers by offering several ways to share ideas. Readers can choose to make their annotations and journal entries public, and can start topics on the site discussion board. Readers can share images and multimedia projects with one another") Dabei setzen die Anbieter sehr auf Einschätzungen aus der Sicht der Gegenwart des amerikanischen Studierenden. Für den strengen Historisten ein Graus, aber wer weiß, vielleicht eine Möglichkeit, die Legitimität des Historischen in der Gegenwart zu begründen.

10 Kommentar(e)

  • Container und Lernort

    Dass so viele Menschen den Weg in die Bibliothek finden, ist doch erfreulich. Vielleicht entwickeln sie sich mit der Zeit im Anschluss an die sozialen Medien zu Agoras der Buchbesprechungen, wenn die Besucher weniger sich selbst überlassen werden. Das Beispiel mit Dante ist doch sehr gut und könnte Schule machen, wenn man Hauptwerke der Weltliteratur in dieser oder ähnlichen Form zur vertieften Lektüre anbietet. Das wäre natürlich in manchen Bibliotheken für Hauptwerke kunsthistorischer Literatur auch wünschenswert. :)

  • Christian M. Geyer
    22.07.2012 17:15
    Lernort Bibliothek

    @ Maria Effinger:
    Gut, wenn Sie auf aktuelle Benutzerbedürfnisse eingehen. Aber ein sehr spezifisches Angebot ist es natürlich nicht, in Lesesälen WLAN anzubieten oder Gruppenarbeitsplätze bereitzustellen. Dazu braucht es keine Bibliothekare. WLAN wird in Unis und anderswo (McDonalds..) kostenlos angeboten, so daß der Aufenthalt im Lesesaal ohne Buchbenutzung bestenfalls das diffuse Gefühl bedient, sich aus dem täglichen Einerlei in eine Atmosphäre der Konzentration zu begeben. Im schlechteren, leider häufig anzutreffenden Fall surft man im Netz irgendwohin und tratscht mit den Kollegen, was anderen Benutzern die Konzentration erschwert.
    Viel interessanter finde ich alle Ansätze zur besseren Erschliessung von Informationen, wozu übrigens die Expertise von Bibliothekaren zwingend erforderlich ist. Selbst bei aktuellen Publiktionen ist es in elektronischen Katalogen nicht selbstverständlich, dass eine sinnvolle, möglichst standardisierte Verschlagwortung des Sammelbandes und der Einzelbeiträge erfolgt. Das findet man auch nicht in Google.

    • Maria Effinger
      22.07.2012 17:30
      Lernort Bibliothek

      Na ja, das eine schließt das andere ja nicht aus :-) Mir ging es bei meinem Kommentar nur darum, eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie eine Bibliothek zu einem "Container für lebendige Menschen" werden kann und auch trotz Medienwandel als Gebäude seine Berechtigung behält.

      Zudem man bei einem sorgfältig ausgewählten Bestand von ca. 60.000 Bänden in unseren Lesesälen trotz aller Ausweitung von Nutzerarbeitsplätzen meiner Meinung nach nicht von einem unspezifischen Angebot sprechen kann. Hinzu kommt das umfangreiche Angebot and Datenbanken, E-Journals und E-Books und nicht zu vergessen das qualifizierte Auskunftspersonal.

  • Maria Effinger
    21.07.2012 15:44
    Lernort Bibliothek

    Es gibt seit ein paar Jahren die schöne Bezeichnung "Lernort Bibliothek". Wir beobachten hier in unserer Universitätsbibliothek, dass ein großer der Teil der täglichen ca. 6.000 Besucher nicht kommt, um Bücher zu entleihen, sondern um in den Lesesälen zu sitzen (natürlich mit W-LAN) oder die Gruppenarbeitsräume zu nutzen. Der von den Bibliothekaren liebevoll ausgewählte Buchbestand im Lesesaal wird zunehmend weniger genutzt, aber die Arbeitsplätze sind dennoch stets knapp. Wie reagieren wir darauf? Wir haben kürzlich ca. 20 % der Bücher weggeräumt zugunsten von mehr Arbeitsplätzen. Und bei unseren aktuellen Baumaßnahmen für unseren Erweiterungsbau sind vorgesehen: rund 500 zusätzliche Benutzerarbeitsplätze, Einzelkabinen/Carrels, die für längere Zeiträume zur exklusiven Nutzung angemietet werden können, 12 Gruppenarbeitsräume mit jeweils 4 bis 8 Arbeitsplätzen, mehrere Schulungsräume sowie Lese- und Ruhezonen. Damit hoffen wir, fit für die Zukunft zu werden!

    Siehe zum "Lernort Bibliothek" z.B. http://www.b-i-t-online.de/heft/2008-04/bau1.htm

    • Hubertus Kohle
      22.07.2012 14:12
      Lernort Bibliothek

      Genau. Das meinte ich mit "Nicht mehr als Container von toten Büchern, sondern von lebendigen Menschen"

  • Träger der Reformbewegung

    Aus meiner Sicht haben viele Bibliotheken und Archive hierzulande die Chancen des Web 2.0 erkannt und es sind Bibliothekare und Archivare, die in Blogs, auf fb oder bei Twitter sehr aktiv sind. Viele sind Träger der Reformbewegung geworden und damit ändert sich schon die Funktion dieser Kulturinstitutionen. Was sie in Zukunft sein werden, ist vielleicht jetzt so nicht ganz genau bestimmbar, aber sie haben sich schon gewandelt und werden mit und in den sozialen Medien eine ganz andere Rolle spielen als das bisher der Fall war, denke ich.

  • Hubertus Kohle
    19.07.2012 13:00
    Zweifel

    Den Einwand verstehe ich nicht ganz. Urheberrechtsprobleme sehe ich bei Dante nicht. Die Langzeitarchivierung ist ein Totschlagargument, mit dem ich die ganze Richtung in Zweifel ziehen kann. Die Definition der Aufgaben der BIbliotheken ist sicher zutreffned, aber reicht das?

    • Hubertus Kohle
      20.07.2012 14:15
      Zweifel

      Ich komme mit der Reihenfolge der Kommentar bei dem neuen System nicht klar, daher: @ibd "Der Einwand ..."
      Online heißt nicht open access, schließt also Bezahlmodelle nicht aus. Einmal abgesehen davon, dass ich open access vorziehe, wird es auch bezahltes online geben. Aber hier bin ich überzeugt: Es wird keine 10 Jahre mehr dauern, bis der allergrößte Teil der wissenschaftlichen Literatur in irgendeiner Form online ist. Und damit wird das zu einem Problem für die Bibliothek als physisches Ding. Darüber reflektiert man aber auch in den Bibliotheken sehr intensiv. Und dies sollte der Sinn meines - natürlich haarsträubend verkürzten - Zwischenrufes sein!

    • Zweifel

      Der Einwand mit Bezug auf die Urheberrechte bezog sich nicht auf Dante, sondern auf den einleitenden Satz "Wenn in naher Zukunft der Bibliotheksbestand im wesentlichen online sein wird..." - in der Zeit, für die das Urheberrecht greift, ist ja wesentlich mehr publiziert worden als in den Jahrhunderten vorher. Unter anderem der größte Teil der Sekundärliteratur, die wir für die Forschung ja auch benötigen. Und die Kosten für Online-Rechte steigen derzeit erheblich. Insofern denke ich nicht, dass die Auflösung der Bibliotheken unmittelbar in Aussicht steht.

      Die Langzeitarchivierung ist kein Totschlagargument, sondern eines unserer drängendsten Probleme. Welche Institution hat das notwendige Budget? Was von den derzeit konzipierten Projekten wird in 10, 15, 20, 50 Jahren noch online sein? Es geht ja nicht nur um die Bewahrung der Primärdaten, sondern auch um die ständige Weiterentwicklung bestehender Angebote.

      Ich glaube eher, dass es zukünftig parallele Strukturen geben wird: qualitativ überzeugende, aber kostenpflichtige Angebote; Angebote mit limitiertem Zugang (Campuslizenzen etc) und den billigeren Zugang in den Räumen der Bibliotheken selbst. Aber das ist natürlich der Blick in die Kristallkugel...

  • im wesentlichen online / im wesentlichen offline

    Schön wäre es. Wären da nicht die Urheberrechte auf der einen Seite (ich verweise auf die betrübliche Abschaltung von "Exilpresse digital") und das ungelöste Problem der digitalen Langzeitarchivierung auf der anderen Seite. Ich fürchte eher, dass die breite kostenfreie Online-Verfügbarkeit von Materialien ihren Höhepunkt bereits überschritten hat.
    Wäre es aber so, dass die frei und online verfügbaren Materialien anwachsen würden, dann würde ich die Kompetenz der Bibliotheken zunächst einmal in der Erarbeitung leistungsfähiger Recherchetools und der zur Nutzbarmachung solcher Tools einheitlichen, differenzierten Sacherschließung der Bestände sehen.

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