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Der Fondaco und die United Colors of Benetton: Koolhaas-Projekt gescheitert

 

 

 

Nun ist es offiziell. Das Projekt von Benetton für die Wiederverwendung des Fondaco dei Tedeschi, von dem renommierten niederländischen Architekten Rem Koolhaas entworfen, muss komplett überarbeitet werden, um realisiert werden zu können. Das vorliegende Projekt ist „mangelhaft“ und „überwältigt die alte Struktur des Gebäudes“. Die ehemalige Niederlassung deutscher Händler am Canal Grande direkt neben der Rialtobrücke „verdient erhalten zu bleiben“. Das Projekt von Koolhaas muss neu gemacht werden, „mit dem Ziel einer begrenzten Intervention, die dem historischen Kontext des Gebäudes entspricht“.

 

Das endgültige Urteil der Behörden ist ein hartes, aber es liegt jetzt schwarz-auf-weiß vor. Verfasst vom Comitato Tecnico-scientifico per i Beni e Architettonici Paesaggistici del Ministero dei Beni Culturali (Wissenschaftlicher Ausschuss für Architektur und Landschaft des Nationalen Ministeriums für Kultur) unter dem Vorsitz des Architekten Giovanni Carbonara (ein bedeutender Architekturhistoriker und Theoretiker der Restauration), ist die Entscheidung bereits an die Direzione Generale dei Beni Culturale der Region Veneto übertragen worden. Das Nationalkomitee traf sich im Mai mit dem alleinigen Zweck, das umstrittenen Benetton-Projekt für den Fondaco (nachdem die Bewertungen von der venezianischen und Veneto Behörden vorgelegt worden waren) zu überprüfen, um damit ein endgültiges Urteil zu erreichen und dabei das Koolhaas-Projekt zu stoppen.

 

Der Direttore Regionale dei Beni Culturali Ugo Soragni und die Soprintendente ai Beni e Architettonici Paesaggistici di Venezia Renata Codello hatten bereits negative Bewertungen des Projekts abgegeben. Nun unterstützt der Nationalausschuss für Architektur das negative Urteil der lokalen und regionalen Denkmalbehörden in vollem Umfang.

 

Hauptanliegen in der neuen Entscheidung waren die „copertura proposta per il padiglione Centrale“ (die Abdeckung des zentralen Pavillons) und die „scale mobili“ (die Rolltreppen im Hof). Der Nationalausschuss für Architektur hat auch festgestellt, dass das Projekt von Koolhaas kein einziges Element enthalte, das eine ausreichende Begründung für die „interferenza dell'intervento, sia per la parte archeologica che per la sua funzionalità e staticità“ zu erkennen lasse. Mit den Wörtern, „privo di un'indagine storica seria che ne consenta puntualmente la conoscenza dal punto di vista strutturale ed evolutivo“, erkennt der Ausschuss den a-historischen oder gar den anti-historischen Charakter der Vorschläge des niederländischen Architekten.

 

Die Ablehnung beseitigt die Eckpfeiler des Projekts von Koolhaas für den Fondaco dei Tedeschi: das Anheben des Dachfensters, um eine Bühne für Konzerte und Tagungen zu bieten, der Abriss eines Teiles des Daches, um eine große Dachterrasse mit Panoramablick auf die Rialto-Brücke erstellen zu können, die Realisierung der beiden Flüge von Rolltreppen, die Eröffnung neuer Eingänge und letztlich die Schaffung eines großen ‚pontile galleggiante’ (Schwimmdock) mit der Funktion ‚Bar-Café’ auf dem Canal Grande. Das Urteil des Ausschusses bedeutet, dass auch ein neues Projekt die historische Bedeutung eines solchen Gebäudes angemessen erkennen muss. Die Ablehnung durch das Nationalkomitee für das Kulturerbe zwingt die Benetton Group, ihr Projekt neu zu überdenken und vielleicht auch nach einer völlig neuen Funktion für den Fondaco dei Tedeschi zu suchen. Edition Property (Benetton) gab bislang nie offiziell das Scheitern des Projekts zu und behauptete, nie offiziell von der Ablehnung informiert worden zu sein. Nun ist jedoch die Ablehnung offiziell und eine Phase der großen Unsicherheit beginnt, eine, die auch die lokale Regierung von Venedig betrifft, die 6 Millionen Euro von Benetton erhalten hat, um die Realisierung des Projekts zu erleichtern. Benetton, der im Besitz des Gebäudes ist, hat inzwischen weit mehr als 60 Millionen Euro in dem Vorhaben investiert. So wird die Angelegenheit zweifellos noch nicht zu Ende sein. (basiert auf „Progetto targato Benetton bocciatura senza appello“, in: La Nuova di Venezia e Mestre, 27. Mai 2012)

 

Zudem kann man sich fragen, ob die Wahl Benettons von Rem Koolhaas als Architekt für die Renovierung eines so großen und historisch bedeutenden Denkmals in der Mitte der Stadtstruktur von Venedig klug gewesen war, selbst wenn sie im Einklang mit der Benetton-Politik von provokativer, aufmerksamkeit-suchender Werbung ist, die die Modefirma seit vielen Jahren praktiziert, manchmal mit Werbekampagnen die zurückgezogen werden mussten. Ferner, kann man sich fragen, ob ein solches Gebäude jemals in einen Megastore befriedigend umgewandelt werden kann, in dem alle Flächen und Räume dem Zweck des Merchandisings untergeordnet sind. Auch könnte der Architekt Koolhaas überlegen, ob er dieses Projekt weiter verfolgen will. Es tut ihm keine Ehre.

 

 

 

 

Rem Koolhaas, der fliegende Holländer der Weltarchitektur, kachelt gern. „Vorige Woche war ich in Lagos, Mailand, der Schweiz, Rotterdam, London, Los Angeles und Las Vegas schwimmen“, zählte er einmal auf. Plantschen ist Völkerkunde: „Wenn ich ein Land verstehen will, dann muss ich dort nur ins Schwimmbad gehen.“

 

Wer so viel reist und krault, kommt auch in der Architekturtheorie ins Schwimmen, die seit 40 Jahren aus ihm strömt. Redet Koolhaas über das Einkaufen, dann sieht er je nach Stimmung „Shopping als Symbol und Indikator dafür, was urban ist“ – oder er beklagt „die Fixierung auf pures Shopping“. Nur Venedig ist noch nicht fixiert genug, weshalb Koolhaas jetzt der Fondaco dei Tedeschi ein Kaufhaus mit knallroten Rolltreppen quer durch den Hof verpassen will. „Fuck context!“ ist schließlich sein Motto. Oder doch das Gegenteil? Ein guter Architekt sei nur, wer sich „von den Eigenheiten des Ortes, an dem man baut, inspirieren lässt“. Nach seiner Theorie will Koolhaas „Unsicherheit stiften, nicht mehr auf feste Strukturen zielen“. In der Praxis baut er die starrsten Großstrukturen des Kontinents, etwa im holländischen Almere und am Bahnhof von Lille, wo Weiterentwicklung nur per Abriss denkbar ist. Hauptsache, es ist die von ihm gefeierte „Bigness“. Das ist nicht einfach Größe, sondern „Bigness ist der Ort, wo Architektur so architektonisch und zugleich so wenig architektonisch ist, wie es nur geht“. (Stimpel, Roland: Baden im Delirium, in: Deutsches Architektenblatt, 18. Juli 2011)

 

 

 

ENGLISH SUMMARY:

 

Now it is official and final. The project of Benetton for the reuse of the Fondaco dei Tedeschi prepared by renowned Dutch architect Rem Koolhaas will have to be completely revised in order to be realized. The present project is "deficient" and "overwhelms the old structure of the building”, which deserves to be preserved. Koolhaas’s project must be redone, with the objective of a more limited intervention which is appropriate to the historical context of the building."

 

The final judgement is a hard one, but it exists now in black-on-white and has been sent to the Direzione Generale dei Beni Culturali by the Comitato tecnico-scientifico per i Beni Architettonici e Paesaggistici del Ministero dei Beni Culturali chaired by the well-known architect and expert in architectural restoration Giovanni Carbonara. This committee met in May for the sole purpose of reviewing the controversial Benetton project for the Fondaco, following the evaluations of it submitted by the Venetian and Veneto authorities in order to obtain a final judgement to stop the Koolhaas project.

 

The Direttore Regionale dei Beni Culturali Ugo Soragni and the Soprintendente ai Beni Architettonici e Paesaggistici di Venezia Renata Codello had already rendered negative evaluations of the project and the Committee for Architecture has now endorsed in full the negative judgment of the Regional Director. Major concerns were the “copertura proposta per il padiglione centrale” (covering proposed for the central pavilion), and the “scale mobili” (escalators in the courtyard). The national Architecture Committee also determined that the Koolhaas project contained no element sufficient to justify the “interferenza dell’intervento, sia per la parte archeologica che per la sua funzionalità e staticità, privo di un’indagine storica seria che ne consenta puntualmente la conoscenza dal punto di vista strutturale ed evolutivo“, recognizing thereby the ahistorical or, indeed the anti-historical character of the Dutch architect's proposals.

 

The rejection, therefore, regards the cornerstones of Koolhaas’s project for the Fondaco dei Tedeschi: the raising of the skylight in order to obtain a stage for concerts and conventions and the transformation of part of the roof, through its demolition, into a large terrace with panoramic views of the Rialto Bridge, and also the realization of the two flights of escalators, as well as the opening of a new entry to the Fondaco and the creation of a large floating dock outside on the Canal Grande for a bar. The judgment of the Committee, however, implies that even a new project must adequately recognize the historic importance of such a building. The rejection by the national committee for Cultural Heritage forces the Benetton group to rethink its project and perhaps also to look for a completely new function for Fondaco dei Tedeschi. Thus far Edition Property (Benetton) has never officially taken into account the failure of the project, maintaining that it has never been officially informed of its rejection. Now this rejection is official. At this point there opens a phase of great uncertainty, one which also involves the local government of Venice, which has received 6 million Euros from Benetton to facilitate the realization of the project.

 

One may ask if the choice by Benetton of Rem Koolhaas as the architect for the renovation of such a large and historically significant monument in the center of the urban structure of Venice is not fully in line with Benetton’s policy of provocative, attention-seeking advertising practiced over many years. And further, one may ask if such a historic building could ever be satisfactorily transformed into a megastore in which all surfaces and spaces would be subordinated to the ends of merchandising. And the architect of the project, Rem Koolhaas, might ask himself if he really wants to further prosecute this undertaking. It does him no honor.

 

 

 

Vgl. hierzu auch:

 

http://blog.arthistoricum.net/deutsche-architektur-im-ausland-der-fondaco-dei-tedeschi-in-gefahr/ (von Charles Davis | 1. März 2012)

 

3 Kommentar(e)

  • charles davis
    12.06.2012 08:42

    KOOLHAAS VORTRAG IN VENEDIG online: HEUTE, 12. Juni 2012, 16 Uhr:
    RELAZIONI PERICOLOSE: REM KOOLHAAS GAST DES IUAV, und mit ihm FRANCO PURINI und BERNARDO SECCHI

    "relazioni pericolose: conversazione con Rem Koolhaas, Franco Purini, Bernardo Secchi", Venedig, Palazzo Badoer, Aula Manfredo Tafuri, 12 giugno 2012
    16 Uhr

    Während der Tagung wird ein Link aktiv, den Vortrag von Koolhaas in streaming zu folgen. Auf "segui online >>" klicken.
    HOMEPAGE DER TAGUNG:
    http://www.iuav.it/Facolta/facolt--di2/NEWS1/eventi-fac/Antico-e-n/index.htm

  • Koolhaas verteidigt seine Fondaco-Projekt in einem Interview:

    Interview mit Rem Kolhaas: Nicht genug, dass jährlich 20 Millionen Touristen Venedig erstürmen, wenn es nach den Plänen des Großinvestors Benetton geht, wird aus der einstigen, prächtigen Handelsmetropole demnächst ein neues Kommerzzentrum. Einer der repräsentativsten Prachtbauten Venedigs soll in eine Shoppingmall umgebaut werden. Stararchitekt Rem Kolhaas hat den Plan zum Umbau gemacht....
    08:20 min. Format: Flash Mpg4/h264 WindowsMedia
    http://www.3sat.de/mediathek/?display=1&mode=play&obj=28570

    Vgl. http://www.3sat.de/mediathek/?display=1&mode=play&obj=28586
    („Wunde der Stadt“)

  • BENETTONS REAKTION: Bislang hat Benetton keine offizielle Stellung genommen, jedoch als die Nachricht von einer bocciatura durchsickerte, war die Firma irritiert, und began eine Gegenoffensive vorzubereiten: „È un’aria di profonda irritazione per la bocciatura annunciata del progetto quella che filtra da Ponzano - pur senza voler rilasciare dichiarazioni ufficiali, vista la delicatezza del momento - e insieme di incredulità verso il no secco che sarebbe in arrivo da Roma, anche se il Comitato per i Beni Architettonici deve ancora verbalizzare le sue valutazioni, per lasciare poi l’ultima parola al Ministero stesso dei Beni Culturali, investito della questione dalla Direzione Regionale.“ (http://nuovavenezia.gelocal.it/cronaca/2012/05/10/news/benetton-non-ci-sta-parte-al-contrattacco-contro-la-bocciatura-1.4491359)

    KOOLHAAS VORTRAG IN VENEDIG: 11. Juni 2012
    RELAZIONI PERICOLOSE: REM KOOLHAAS GAST DES IUAV, und mit ihm FRANCO PURINI und BERNARDO SECCHI

    Antico e Nuovo: Relazioni pericolose, conversazione con Rem Koolhaas, Franco Purini, Bernardo Secchi, 11 giugno, Venezia, Palazzo Badoer, Aula Tafuri, 16 Uhr, Einleitung von Giovanni Carnevale (il convegno potrà essere seguito in streaming presso l’auditorium del cotonificio e in web).
    Sarà questa l’occasione per condurre una riflessione all’interno della comunità scientifica laddove è più appropriato ragionare insieme sul Progetto.

    COMUNICATO STAMPA: http://www.iuav.it/Facolta/facolt--di2/NEWS1/eventi-fac/Antico-e-n/index.htm

    Wer verpasst den Vortrag, kann Koolhaas in zahlreichen Videos und Interviews im Internet sehen und hören, zum Beispiel in einem eindrucksvollen Vortrag in München im Jahr 2004:
    Prof. Dr. Rem Koolhaas, „Post Iconic Turn. Advantages of Neglect“: 25.11.2004, 19:00 Uhr Audimax, Ludwig-Maximilians-Universität München
    Video-Vortrag: http://lectures.iconic-turn.de/iconicturn/home/?tx_aicommblog_pi1%5BshowUid%5D=16&cHash=594c0986a6

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