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FONTES 53 und 54: Hogarth für Deutschland – ‚made in England’

 

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Es mag vielleicht überrraschend erscheinen, aber die Grundlage für die Rezeption der Hogarthschen Kunsttheorie in Deutschland wurde nicht von den Verlegern seiner ‚Zergliederung der Schönheit’ in Deutschland gelegt, sondern von einer in London basierten Verlagsunternehmung, die ihr Zentrum im Herzen von Hogarths  kleinen Londoner Stadtteil, Covent Garden, hatte, der sich damals nicht weiter als über die beiden nah aneinander liegenden Underground-Stationen des heutigen Londons – Leicester Square und Covent Garden – erstreckte. Hier lebte und arbeitete Hogarth, hier befand sich die Druckerei des einzigen damals in London tätigen deutschen Verlegers, Andreas Linde, und hier erschien genau zu dem Zeitpunkt, als man mit der Drucklegung von Hogarths ‚Analysis of Beauty’ begann,  ein deutscher Reisende, Christlob Mylius, der im Begriff war, zu einer Forschungsreise in die Neue Welt aufzubrechen. Mit vielen neuen Entdeckungen naturkundlicher Art erhoffte Mylius, die Erwartungen seiner gelehrten Geldgeber in Deutschland zu erfüllen. Eine “physikalische Reise nach Amerika” ist die Bezeichnung die häufig von Gotthold Ephriam Lessing, dem sieben Jahre jüngeren ‚Vetter’ und damaligen Protegé von Mylius, benutzt wird. Mylius’ Reiseunterbrechung in London verwandelte sich zur Bestürzung seiner finanziellen Sponsoren jedoch “in einen ziemlich langen Aufenthalt in dieser Stadt”. Seine Reise sollte eigentlich nach Suriname gehen, und anschließend nach Georgia und den Carolinas, doch sie endete abrupt während seines Londoner Aufenthalt durch seinen Tod in der Nacht vom 6. auf den 7. März 1754. Mylius starb im Alter  von nur 31 Jahren. Bis dann hat er, der u. a. auch professioneller Übersetzer war, schon zwei eher kleinere Werke bei Andreas Linde in London veröffentlicht.  Linde war es auch, der Mylius um die Übersetzung von Hogarths Traktat gebeten hatte. Für das Übersetzungsprojekt war die Zusage Hogarths unentbehrlich: erstens wegen der Frage der Rechte – auf dem Gebiet des ‘Copyrights’ war Hogarth bekanntlich ein Pionier. Ferner musste Hogarth die Wiederverwendung seiner eifrig bewachten Kupferplatten für die zwei grossen Faltblatt-Illustrationen des Buches erlauben. Noch wichtiger war der Zugang zu seinem noch nicht veröffentlichten Text als Basis für die Übersetzung. Sowohl Mylius als auch andere bestätigen die aktive Teilnahme Hogarths an der Übersetzung selbst. Diese erste Londoner Phase der deutschsprachigen Hogarth-Rezeption hat im Vergleich mit der kurz darauf folgenden zweiten Phase, die in Berlin ihr Zentrum hatte, nur wenig Beachtung gefunden.

 

Obwohl die Veröffentlichung der ersten englischen Ausgabe der ‚Analysis’ schon für März 1752 angekündigt wurde, verzögerte sich die Drucklegung bis in die letzten Monate des Jahres 1753. Die Subskriptionsexemplare wurden erst ab dem 1. Dezember 1753 verteilt. Mylius kam schon im August 1753 in London an und bereits vor dem 11. Dezember des selben Jahres war seine Übersetzung und auch die Korrekturlesung der Druckfahnen fertig. Im März 1754 war das übersetzte Buch schon im Druck. Es trägt eine Widmung an die “Prinzessin von Wallis”, die als Augusta von Sachsen-Gotha „the Dowager Princess of Wales“ war. Prinzessin Augusta war u. a. eine Gönnnerin des Verlegers Andreas Linde. Zum selben Zeitpunkt erreichte das Interesse Hogarths an der englischen bzw. deutschen königlichen Familie, dem Haus Hannover, seinen Höhepunkt. Die letzte Phase der Vorbereitungen für Hogarths englische ‚Analysis’ deckt sich also mit der Übersetzung ins Deutsche. Man kann hierin also ein einheitliches verlegerisches Projekt sehen.

 

Etwas früher, im Jahre 1746, versuchte Hogarth den Verkauf seiner Stichwerke im Ausland noch weiter zu befördern, in dem er seinen Freund und Nachbarn, den französischen Maler André Rouquet beauftragte, eine Reihe erklärender Bildbeschreibungen der Stiche zu publizieren. Sie wurden in London auf Französisch veröffentlicht. Im Vorwort des Übersetzers werden Rouquets Beschreibungen von Mylius empfohlen. Ob Mylius, wie früher Rouquet, von Hogarth grosszügig bezahlt wurde, ist nicht bekannt. Aber viel von dem Myliusschen Vorwort liest sich so, als folge Mylius einem ‚libretto’ von Hogarth. Da findet man eine Preisliste aller Hogarths Stiche, samt der Adresse, unter der sie zu beziehen sind – das Haus Hogarths in Leicester Square, Dazu eine Empfehlung an deutsche Käufer, die Kupferstiche zu sammelen: sie seien tausendmal wertvoller als vergleichbare deutsche Werke. Weiterhin die eindringlich vorgetragene These, die Werke Hogarths seien der beste Prüfstein für die Ausführungen Hogarths über die Schönheit (das war ein Argument, das Hogarth nur ‚sotto voce’ gewagt hatte). Schließlich wird argumentiert, dass Ausländer, die mit englischen Sitten und Lastern nicht vertraut seien, eine schriftliche Erklärung von den Kupferstichen benötigten, in der die spezifische ‚Englishness’ der Bilder erläutert wird. Alle diese im Vorwort des Übersetzers genannten Aspekte sind in ihrer Absicht eindeutig publizistisch und wiederholen längst bekannte Hogarthschen (Verkaufs)-Strategien.

 

Fast erstaunlicher ist die Tatsache, dass dieser ersten deutsche Augabe – ‘made in England’ – nur wenige Monate später eine zweite Ausgabe (“Verbesserter und vermehrter Abdruck”) der ‚Zergliederung der Schönheit’, diesmal in Berlin and Potsdam “bei Christian Friederich Voß” verlegt,  folgte. In dieser lesen wir ein neues, zusätzliches Vorwort von Gotthold Ephraim Lessing, der nach Mylius’ Tod dessen literarischer Nachlassverwalter geworden war. Schon früher hatte Lessing Nachrichten über die Myliussche Hogarth-Übersetzung in die ‚Berliner Privilegierte Zeitung’ einrücken lassen. Es wird klar, dass die Impulse für die neue Berlin-Potsdam Ausgabe aus Lessings Kenntnissen des Geschehens in London und aus der Begeisterung Mylius’ für das Buch Hogarths entstanden sind. Die Rolle Hogarths bei der neuen Ausgabe ist ungewiß. Bekannt ist nur, dass er eine Subskriptions-Announce von Voß aus Berlin bekam, da sich noch heute eine Kopie in englischer Übersetzung in den Papieren des Künstlers befindet.

 

So wurde die nahezu gleichzeitige Rezeption seines Buches in Berlin und London durch die fast zufällige Anwesenheit von Mylius in England und durch die enge Zusammenarbeit mit Hogarth vorbereitet. Trotzdem war es die Berliner Ausgabe, die – von Lessing stark befürwortet – die Grundlage für die dauerhafte, umfangreiche Rezeption der ‚Analysis’ in Deutschland bildete.

 

FONTES 53 enthält umfangreiche Auszüge im Volltext aus der Berlin-Potsdamer ‚Zergliederung’ (1754), unter anderem den ‚Vorbericht des Übersetzers (Mylius), den ‚Vorbericht zu diesem neuen Abdruck’ (Lessing) und die lange ‚Vorrede des Verfassers’ (Hogarth) in der Übersetzung von Mylius.

 

FONTES 54 enthält eine Diskussion von Hogarth und Rouquet, sowie eine Volltext-Version von Rouquets erklärenden Beschreibungen der Hogarthschen Stiche: „Briefe des Herrn Rouquet an einen seiner Freunde in Paris worinn er ihm die Küpferstiche des Herrn Hogarths erklärt“. Lessing und Voß fügten die Übersetzungen dieser Bildbeschreibungen der zweiten deutschen Ausgabe hinzu, weil sie sie nicht nur für das französische, sondern auch für das  deutsche Publikum geeignet hielten.

(Charles Davis)

 

>> Direkt zum Volltext von FONTES 53 und FONTES 54

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