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Pedro Cabrita Reis in der Hamburger Kunsthalle

"One after another, a few silent steps", so der Titel der großen Werkschau zum Schaffen von Pedro Cabrita Reis in der Hamburger Kunsthalle. Seit Langem ist das umfangreiche Oeuvre eines der wichtigsten portugiesischen Künstler unserer Zeit wieder in Deutschland zu sehen. Schon der Titel zeugt von einem transitorischen Charakter: Mit jedem Schritt durch die Ausstellungsräume begleitet man den Künstler auf seiner Suche nach den Bedingungen der "conditio humana" – einer Reise mit offenem Ausgang.

 

Auf dem Weg durch das Sockelgeschoss säumen weiträumige Installationen den Weg des Besuchers: Eine Treppe, die ins Nirgends führt, eine labyrinthische Ziegelmauer im Zerfall, raumgreifende Konstruktionen aus Stahl und Glas besetzen die hermetischen Zellen des White Cube. Wie verlassene Inseln erloschener Zivilisationen treiben die Arbeiten vorbei. Allen haftet eine Patina des Verschleißes an. Cabrita Reis’ Einsatz von Bau-Materialien und gebrauchten Gütern – dem „zivilisatorischen Treibgut“ – bindet die Werke an den Strom der Zeit. „Hamburg Door“ beispielsweise entstand während des Aufbaus der Ausstellung, mit Fundstücken aus der Umgebung: Eine Tür ohne dazugehörigen Raum, durch die Singularität ihrer Funktion beraubt. Die Gebrauchsgegenstände haben sich zu Objekten gewandelt, doch anders als im Ready-Made geht es nicht um das Eröffnen einer neuen Bedeutungsdimension im musealen Raum. Die vom Lauf der Zeit verschlissenen Oberflächen deuten auf eine außer-museale Realität. Es sind keine Symbole, die hier sprechen. Die Bedeutung erschließt sich vielmehr indexikalisch: Die raum-zeitliche Kontinuität scheint aus den Angeln gehoben. Die Zeichen verweisen auf Kontexte, deren Teil sie nicht mehr sind.

 

Stahlträger, Bretter und Neonröhren, von Kabeln und Klebband zusammengehalten, offenbaren einen prekären Charakter, der nur den status quo eines „Dazwischen“ kennt. So könnte jedes Planken-Gerüst von einem hoffnungsvollen Anfang zeugen, von Aufbruchstimmung und dem Ziel, einen Raum zu besetzen und Umgebung neu zu schaffen. Genauso jedoch könnten in Schieflage geratene Holzkonstruktionen für das Ende einer Katastrophe stehen, der man gerade beiwohnt. Die Leuchtstoffröhre wird zu einem konstanten Begleiter der inselhaften Gebilde, doch ist ihre Funktion fernab ihrer kunstgeschichtlichen Konnotation verankert. Der Aussage „what you see is what you see“ folgend, erhellt sie in einer aufklärerischen Geste die Szenerie.

 

Von der Arte Povera bis zur Minimal Art bedient sich Cabrita Reis zielsicher aller Spielarten der Nachkriegskunst, ohne sich einer Richtung zu verpflichten. Jedes Kunstwerk lässt Anklänge deutlich werden, die Ausstellung als Ganzes jedoch eröffnet einen Diskurs, der in seiner Aussage offen bleibt. Die Suche geht mit jedem Schritt weiter. „I dreamt your house was a line“, so der Titel einer Arbeit. Wird der Zielpunkt zur Horizontlinie, verschiebt sich der Ausgang der Reise ins Unendliche.

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Februar zu sehen.

1 Kommentar(e)

  • >Wird der Zielpunkt zur Horizontlinie, >verschiebt sich der Ausgang der Reise ins >Unendliche

    is it?! Ich meine, ist es wirklich so, dass die Unendlichkeit nach vorne liegt? Ist das nicht nur eine Illusion? Sprechen nicht eher die (räumlich endlichen und in ihrer Funktionalität beendeten) Gegenstände von Unendlichkeit? Ihre Geschichte werden sie über ihre Materialität endlos veranschaulichen und von einer Realität sprechen, die existiert hat. Vielleicht sind es zwei Seiten derselben Medaille, die der Künstler zeigt: unendlich vorwärts ist oder ist nicht gleich unendlich zurück? Trotzdem sind seine Installationen nach meinem Empfinden visuell sehr lebendig. Das liegt vermutlich in der unendlichen (he, he, he) Variation der Elemente, die den Raum immer überraschend und neu gliedern. Also Kunst (und Leben?) als Spiel in einem anderen Sprachregister, diesseits existentieller Fragestellungen? :)

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