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Groß-Paris

 

Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern in Vergangenheit wie Gegenwart ein ziemlich schwer zu regulierendes urbanes Konglomerat. Bis in die frühe Neuzeit hinein wurde dem massiven Bevölkerungswachstum mit permanenter Erweiterung begegnet, so wie es sich in den in immer weiteren Kreisen angelegten Stadtmauern ausdrückt. In der Aufklärung versuchte man, dem Chaos mit Maßnahmen des embellissement zu Leibe zu rücken. Berühmt (und berüchtigt) wurden im 19. Jahrhundert die radikalen Durchbrüche des Baron Haussmann. Im 20. Jahrhundert dann fiel Le Corbusier nichts Besseres ein, als das historische Zentrum durch eine Reihe von Punkthochhäusern zu ersetzen. Der umtriebige und immer an der gloire seines Landes und seiner Hauptstadt orientierte Nicolas Sarkozy hat zuletzt eine Reihe von (inter)nationalen Architekturbüros damit beauftragt, das Grand Paris der Zukunft zu planen. Von den Ergebnissen war auch in deutschen Zeitungen zu lesen, ausgestellt sind sie zur Zeit im Palais de Chaillot, eingerahmt von den Moulagen des Musée des Monuments français und gleichsam bewacht vom Eiffelturm, auf den sich dem Besucher beim Rundgang die grandiosesten Blicke bieten.

Die Probleme dieser zuletzt auch vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama zur „schönsten Stadt“ der Welt gekürten Kapitale sind bekannt. Die eigentliche Stadt Paris ist eingeklemmt in den Boulevard Périphérique, die Gebiete darumherum, die sich zur über 10 Millionen Einwohnern Wohnraum bietenden Ile de France zusammenfügen, unterliegen jeweils eigenen Verwaltungen. Investitionen gehen vor allem in das glänzende Zentrum, das nichtsdestoweniger an einem entschiedenen Mangel an Grünflächen und an einem Überhand nehmenden Verkehr leidet, die Vorstädte sind schlecht angebunden, von den gewalttätigen Bewegungen der unterprivilegierten Bewohner vor allem in den im Norden liegenden „Vorstädten“ ist ebenfalls einiges nach Deutschland gedrungen.

Die Vorschläge der Architekten sind mannigfaltig, sie werden mit dem in der zeitgenössischen Architekturszene verbreiteten theoretischen Aufwand einem staunenden Publikum präsentiert. Die Akzente liegen auf der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs im Zeichen einer nachhaltigen Stadtplanung (gleich nebenan wird die Ausstellung Habiter écologique. Quelles architectures pour une ville durable? gezeigt), auf der Bildung von Unterzentren an der Peripherie, der Begrünung und in eingen Fällen der konzeptionellen Einbindung des Umlandes. In einem der Vorschläge wird – im Rückgriff auf eine Idee Napoleons (!) - gleich der gesamte untere Seine-Raum als ein modernes Groß-Paris gedacht, mit der existierenden Autobahn als neuem Stadtboulevard und einem neuen TGV, der den als lockeres Gefüge von Stadträumen und Agrar- bzw. Parkfläche gedachten, immerhin an die 250 Kilometer langen Streifen durchmessen soll.

Das Ganze bleibt in der Ausstellung ein wenig abstrakt, man muss viel lesen und braucht eine gute Vorstellungskraft. Aber irgendwie hat man auch den Eindruck, sich ein letztes Mal im Zentrum einer Welt zu befinden, die diesen Anspruch immer mehr an die neuen Zenren im Osten abgeben muss.

4 Kommentar(e)

  • Um längerfristig auf dem oder zumindest in der Nähe des Place des Vosges zu leben, könnte ich mir aus aktuellem Anlass sogar vorstellen, mich als Zimmermädchen zu bewerben... :)

  • Ioana Herbert
    08.10.2009 06:05

    Übrigens zeigt der Louvre in dieser kalten Jahreszeit gleich drei große Meister der venezianischen Malerei. Wenn das Teil der hier angesprochenen Abdankung von Paris sein soll, dann ist sie souverän genug, um jedes andere Zentrum des Ostens in den Schatten zu stellen. Auf Letztere kann man aber von hier aus auch schlecht neugierig werden, wenn man die aktuelle Schirn-Ausstellung in Betracht zieht, bei der man anno 2009 erfahren kann, dass der sozialistische Realismus ungemein "lebendig wirkt". Diese tiefschürfende Erkenntnis dürfte wohl an Leere alles übertreffen, was die deutsche Kunsthistoriographie bislang hervorgebracht hat. Was aber für so manchen „Mitbürger mit Migrationshintergrund“ blanker Zynismus sein könnte, wirkt zum Glück Dank der Ausstellung im benachbarten Paris lediglich wie eine vorübergehende Geschmacksverirrung. Wenn mich nicht alles täuscht, fängt an der Seine die kulturelle résistance erst richtig an, wofür man hier trotz der landesüblichen Schwermut bereits einen sechsten Sinn entwickelt haben könnte. Wie auch immer... ich finde diese neue Form des in der abendländischen Geschichte bereits mehrfach mit Erfolg erprobten Widerstands im Wandel nicht übel. Da weiß man in Krisenzeiten, wo's lang geht. Oder?

  • keimelion
    10.09.2009 05:48

    Ich glaube auch, dass der Blick etwas müde war. Paris wird ein Zentrum bleiben. Kennen Sie den Spruch der Emigranten aus der Zwischenkriegszeit? "Chaque homme a deux pays: la sienne et puis Paris!" Daran wird sich auch in hundert Jahren nichts ändern. Ob mit oder ohne Wolkenkratzer im Marais.

  • Ioana Herbert
    08.09.2009 06:22

    "...ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben..." eine Welt?

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