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Nicht: contra Theorie, sondern: pro Material

Mit dem langen Text von Franziska Uhlig kommt nun möglicherweise eine Diskussion in Gang, wie sie sich einige vielleicht von diesem Blog erhofft haben.

Vor aller Diskussion aber möchte ich Mißverständnisse klären, die sich erst aus Anfangsschwierigkeiten beim Umgang mit dem Medium ergeben haben - glaubte ich doch zunächst, meine Überlegungen in Form kurzer Aperçus, häppchenweise sozusagen, präsentieren zu müssen (auch hatte keiner der Blogger bisher einen längeren Text veröffentlicht). Daraus ergab sich zumindest teilweise das Abrupte, Unfundierte und Einseitige der ersten beiden Beiträge, die so wohl eher irritierten, als daß sie ihre Absicht verdeutlicht hätten.

 

Ein Mißverständnis ist jedenfalls die Annahme, ich hielte die Fokussierung auf das künstlerische Material nur deshalb für wichtig, weil es von der Kunstgeschichte hierzulande bisher marginalisiert worden sei. Im Gegenteil sollte der Hinweis auf den großen Anteil des Materiell-Technischen am Enstehungsprozeß von Kunstwerken verdeutlichen, daß hierin eben auch ein wesentlicher Erkenntniszugang für die Kunstgeschichte liegt, der noch lange nicht ausreichend genutzt wird. Es existieren schon heute beispielhafte Untersuchungen, welche den Nutzen eines solchen Zuganges erweisen. Dazu zählen selbstverständlich die genannten Arbeiten, welche aus der Schule von Monika Wagner kommen oder einen ähnlichen Ansatz verfolgen - wie eben auch Franziska Uhligs „Konditioniertes Sehen" (2007). Wie sehr ich derartige Untersuchungen schätze, zeigt sich in den Rezensionen von Daniela Bohdes und Matthias Krügers Dissertationen, welche ich in den „Beiträgen zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut" (2004) und in „Restauro" (2008) veröffentlichte. Das war medienstrategisch ungünstig, denn diese Zeitschriften werden nur von sehr wenigen Kunsthistorikern gelesen.

 

Auch erscheint mir der eine Nutzen solch technischer Beschäftigung, nämlich „keinen Unsinn zu schreiben", größer, als es zunächst den Anschein haben mag: Stimmt die materiell-technische Fundierung theoretischer Anwendungen nicht, so stellt das die Anwendungen in Frage.

 

Nochmals: Ich sehe einen sehr großen Nutzen des „materialorientierten" Ansatzes gerade in solchen Beispielen, wie sie von Franziska Uhlig angeführt werden - kunsttechnisches Wissen schwindet im Zuge der technologischen Veränderungen, und mit dem Aufhören traditionell arbeitender Firmen oder Werkstätten bricht mangels Nachfolge die handwerkliche Tradition ab.

Dem sei allerdings hinzugefügt, daß dies ja über weite Zeiträume der Kunstgeschichte immer wieder geschehen ist. Aufgrund der hauptsächlich oralen Tradierung läßt sich bis zum 16., 17. Jahrhundert nur sehr wenig kunsttechnische Literatur finden, welche keineswegs die Breite des technologischen Spektrums abdeckt. Dies ändert sich allerdings mit der Fülle ökonomisch-technischer Literatur seit dem 18. Jahrhundert. Hier besteht die Schwierigkeit oft darin, daß kunsthistorische Untersuchungen in einem sich selbst verstärkenden Prozeß oft nur sehr wenige, immer wieder zitierte Quellen berücksichtigen. Hier liegen Wissensschätze in den Bibliotheken, die noch nahezu unbekannt sind - etwa in Gestalt der naturwissenschaftlichen und technologischen Periodika, wie sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts in wachsendem Maß erscheinen. Eine neue Richtung der kunsttechnischen Quellenforschung (hier differenziert sich bereits die junge „Technische Kunstgeschichte" - vgl. den gleichnamigen Beitrag vom 2. April in diesem Blog) versucht einerseits, aufgeschriebenes Wissen in größerer Erschließungstiefe nutzbar zu machen, wie andererseits, dieses Wissen anhand von technologischer Rekonstruktion und naturwissenschaftlicher Kunstgutuntersuchung zu verifizieren („art technological source resarch"). Diese Methode kann die lebendige handwerkliche Tradition, so wie sie von Franziska Uhlig in ihren Beispielen angeführt wird, nicht ersetzen - aber sie ist ein Behelf, um verlorenes Wissen zumindest näherungsweise zurück zu gewinnen.

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